Geologie: Das Anthropozän hat 1950 begonnen, die Referenz findet sich in Kanada

Seit Jahrzehnten wird debattiert, wann das Menschenzeitalter begonnen hat, eine formale Definition gab es aber nicht. Jetzt gibt es einen konkreten Vorschlag.

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Satellitenbild der Erde bei Nacht

(Bild: NicoElNino/Shutterstock.com)

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In der Geologie sollte das Anthropozän, also die von den Menschen geprägte Epoche der Erdgeschichte, im Jahr 1950 beginnen. Das schlägt eine eigens für die Ermittlung dieses Zeitpunkts eingesetzte Arbeitsgruppe der Internationalen Union der Geologischen Wissenschaften (IUGS) vor. Als Referenz für den Beginn soll eine Sedimentabfolge aus dem kleinen Lake Crawford im Südosten Kanadas dienen, erklärte die Anthropocene Working Group (AWG) am heutigen Dienstag. Das Einsetzen des geologischen Anthropozäns wird demnach vor allem an radioaktiven Niederschlägen von Atomwaffen-Tests nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg festgemacht, die dabei auf die Oberfläche gefallenen Plutonium-Isotope sind weltweit nachweisbar.

Geprägt hat den Begriff Anthropozän der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen, abgeleitet wird der vom altgriechischen Wort ánthropos (ἄνθρωπος) für Mensch. In verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wird angesichts der massiven Emissionen von Treibhausgasen und der breiten Zerstörung von Ökosystemen schon länger von einem solchen Zeitalter gesprochen, formal nach geologischen Kriterien definiert war das aber bislang nicht. Zu diesem Zweck wurde 2009 eine Unterabteilung der IUGS eingerichtet, der bis zu seinem Tod auch Crutzen angehörte. Nötig war vor allem eine Referenzprobe. Von dieser Anthropocene Working Group stammt nun der Vorschlag für den formalen Beginn des Menschenzeitalters.

Wie die dpa die Begründung zusammenfasst, liegt der jetzt definierte Zeitpunkt vergleichsweise spät, weil andere mögliche Ereignisse nicht global in den Sedimenten nachweisbar seien. Als Ausgangspunkt war auch der Beginn der Industrialisierung gehandelt worden, der sei aber mancherorts kaum geologisch feststellbar. Bei der Referenzprobe vom Lake Crawford handelt es sich demnach um einen Bohrkern mit saisonalen Ablagerungen, die gut sichtbare Jahreslinien bilden. Bis daraus jetzt ein allgemeingültiger Standard wird, müssen noch drei Gremien der IUGS den Vorschlag absegnen. Das könnte bis August 2024 erfolgen. Damit würde das Anthropozän dann das Holozän ablösen, das vor etwa 12.000 Jahren begonnen hat und bislang das aktuellste Erdzeitalter ist.

Wann genau der Beginn des Anthropozäns angesetzt werden sollte, darüber wurde seit der Einführung des Begriffs durch Crutzen 2000 diskutiert. Der niederländische Atmosphärenforscher hatte sich selbst für einen Beginn irgendwo zum Ende des 18. Jahrhunderts ausgesprochen, als die Industrielle Revolution und der damit verbundene Ausstoß von CO₂ und Methan begann. Andere sprachen sich gar für deutlich frühere Daten aus, unter anderem die Neolithische Revolution oder die Kolonisierung Amerikas. Wieder andere in der Forschung haben auf die sogenannte "Große Beschleunigung" verwiesen, einen dramatischen Anstieg der Weltbevölkerung, der Wirtschaftsleistung, der Nutzung verschiedener Ressourcen und anderer Trends, die etwa um 1950 einsetzten.

(mho)