Gießkanne statt Großprojekte – KI Bundesverband kritisiert Digitalstrategie
Digitalstrategie: Der KI Bundesverband fordert mehr Koordination der Einzelmaßnahmen, einen europäischen Plan und ein klares Budget für digitale Souveränität.
- Silke Hahn
Die im Koalitionsvertrag versprochene Digitalstrategie der Bundesregierung wurde am 31. August 2022 verabschiedet. Mit ihr plant der Bund "einen umfassenden digitalen Aufbruch", wie das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) Anfang Juli 2022 bei der Veröffentlichung des Entwurfs verlautbart hatte. Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (FDP) stellte damals in Aussicht, "den Umsetzungsstau vergangener Legislaturperioden" auflösen zu wollen. Nach einem großen Wurf schaut das nun verabschiedete 50-Seiten-Papier allerdings nicht aus, wie kritische Stimmen anmerken.
Einzelmaßnahmen unverzahnt, Fahrplan fehlt
Neben den vom Bund so bezeichneten Hebelprojekten Breitband- und Mobilfunkausbau, Standardisierung/Normierung sowie einer vom Staat bereitzustellenden digitalen Identität für Bürgerinnen und Bürger (für elektronische Behördenwege) misst die Digitalstrategie der Künstlichen Intelligenz (KI) besondere Bedeutung bei. Für die "Zukunftstechnologie KI" fehlt darin allerdings eine konkrete Roadmap, die garantiert, dass Deutschland nicht in Abhängigkeit von der Technologie anderer Staaten gerät.
Der KI Bundesverband hat daher bereits Stellung bezogen und die Strategie zwar grundsätzlich gelobt (als notwendigen Schritt in die richtige Richtung), aber auch ihre Schwächen kommentiert. So liste das Dokument zahlreiche Einzelmaßnahmen auf, die aber untereinander nicht abgestimmt seien, und für Großprojekte fehle darin die Umsetzungs- und Finanzierungssicherheit.
Digitale Souveränität per Gießkanne
Der Wettlauf um digitale Souveränität sei noch nicht zu Ende, und ihre Bedeutung werde angesichts der geopolitischen Entwicklungen in Russland, China, aber auch innerhalb der USA deutlich. Die Abhängigkeit im Bereich digitaler Kerntechnologien und Infrastruktur könne zu ähnlichen Situationen führen, wie sie mit russischem Gas derzeit spürbar sind. Daher appelliert der KI Bundesverband in seiner Pressemitteilung an die Bundesregierung, auf europäischer Ebene gemeinsam mit weiteren Akteuren und Partnern an der Entwicklung "demokratiesichernder Technologien" zu arbeiten.
Entsprechend gelte es, die vorhandenen Ressourcen zu bündeln. Leuchtturmprojekte führt die Digitalstrategie des Bundes namentlich auf und der KI Bundesverband betrachtet sie ebenfalls als zentrale Maßnahme zum Vorantreiben digitaler Unabhängigkeit. Allerdings vermisst der Verband hier eine konkrete Ausgestaltung. Das gezielte Fördern solcher Projekte "als Katalysator und Richtungsgeber" würde "die digitale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken", wie der Präsident des KI Bundesverbandes Jörg Bienert betont. Stattdessen scheint ihm zufolge "das Prinzip Gießkanne" zu gelten.
Verteilungskämpfe absehbar ohne Digitalbudget
Konkrete Pläne zum Umsetzen digitaler Souveränität durch Schlüsseltechnologien scheinen ein blinder Fleck zu sein in der Digitalstrategie. Der Verband schlägt eine koordinierte Strategie für "klare und definierte Leuchtturmprojekte" vor. Dafür sei ein Gremium über der Ebene von Staatssekretären nötig, denn Großprojekte könnten dem Verband zufolge nur funktionieren, wenn Bund, Länder, Wirtschaft und Gesellschaft hier an einem Strang zögen. Als Beispiel für ein solches Großprojekt nennt der Verband LEAM, ein Projekt zum Aufbau eines großen europäischen Sprachmodells (LEAM steht für Large European AI Models).
Für LEAM schätzt das dahinter stehende Konsortium verschiedener Stakeholder aus Forschung, Wirtschaft und Medien, an dem auch der Bundesverband beteiligt ist, die Kosten auf rund 400 Millionen Euro ("mindestens 375 Millionen Euro" zuzüglich Betriebskosten für das Gesamtcluster des Rechenzentrums sind im Konzeptpapier veranschlagt). Mit der aktuellen Kritik an der Digitalstrategie des Bundes vertritt der Verband offenbar auch handfeste finanzielle Eigeninteressen, konkret für dieses Projekt. Das LEAM-Konzeptpapier ist online abrufbar.
Wettbewerbsfähigkeit: Handlungsbedarf aus Unternehmersicht
Der KI-Forscher und Ingenieur Jonas Andrulis (Gründer und CEO des Heidelberger Start-ups Aleph Alpha) schlägt in eine ähnliche Kerbe. Die mehrsprachigen KI-Sprachmodelle von Aleph Alpha ermöglichen ihm zufolge eine neue Generation der Mensch-Maschine-Zusammenarbeit, und die Forschungs- und Geschäftspartner bestätigten, dass das in Heidelberg entwickelte Modell durch den Fokus auf europäische Sprachen und Kultur "gegenüber den Schlachtschiffen von US-Anbietern die Nase vorn" habe. Was die Leistungsfähigkeit anbelangt, verwies er auf aktuelle Benchmarks und teilte mit, dass sein Team zurzeit ein 300 Milliarden Parameter großes Sprachmodell trainiere. In Produktion befänden sich Modelle mit bis zu 80 Milliarden Parametern. Eine wichtige Rolle spielt offenbar die multimodale Erweiterung des Sprachmodells, denn ein Bild sage mehr als tausend Worte, so Andrulis.
Das Angebot, das Aleph Alpha entwickelt habe, funktioniere dem Unternehmer zufolge: "Unser souveränes Rechenzentrum schnurrt wie ein Kätzchen – das kommerzielle Interesse für unabhängige KI der nächsten Generation ist riesig." Gemeint ist das unabhängige KI-Hochleistungsrechenzentrum alphaONE, dessen offizielle Eröffnung im September 2022 bevorsteht. Großen Handlungsbedarf sieht Andrulis auf der wissenschaftlichen Seite, denn um die akademische Exzellenz macht er sich Sorgen. "Deutsche Forscher sind Weltklasse", betonte er im Gespräch. Allerdings seien für die moderne KI-Forschung Ressourcen und Infrastruktur notwendig, die an vielen Hochschulen fehlten. "Einige unserer Partner nutzen bereits unsere Hardware. Das ist natürlich keine nachhaltige Lösung", mahnte er mit Blick auf die Digitalstrategie.
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Weitere Stimmen und Quellen zur Digitalstrategie
Mit der Kritik stehen der KI Bundesverband und Unternehmer wie Andrulis nicht alleine da. Die CDU/CSU-Bundesfraktion und der Internetwirtschaftsverband eco bemängeln in Stellungnahmen die Strategie als zu zaghaft und vermissen ebenfalls konkrete Umsetzungspläne. Ein grundsätzlicher Knackpunkt in der Digitalstrategie dürfte das Fehlen eines ursprünglich verabredeten Digitalbdugets sein, das (zusätzlich zum Ressort-Budget) das Umsetzen der Vorhaben erst ermögliche. Verteilungskämpfe zwischen den Ministerien sind ohne ein solches Budget absehbar und würden die Umsetzung blockieren.
In der Digitalstrategie umreißt die Bundesregierung die Vorhaben (sowie Aufgaben) aller Ministerien auf 50 Seiten. Einen Überblick mit weiteren Details bietet eine aktuelle Heise-Meldung: "Digitalstrategie: Wissings wackliges Werk". Das wesentliche Ziel der öffentlichen Hand ist demzufolge weiterhin, mit Open Source souverän zu werden. In einem Fachdebattenportal ist ein Beitrag von Jörg Bienert (dem Präsident des KI Bundesverbands) zu finden, der vorab Kritik am Strategieentwurf geübt hatte – die aktuelle Stellungnahme zitiert teils daraus.
Der KI Bundesverband vertritt die Interessen von über 400 KI- und Deep-Tech-Unternehmen, er ist somit das größte KI-Netzwerk in Deutschland. Seine Mitglieder setzen sich nach eigener Aussage für ein Ökosystem Künstlicher Intelligenz ein, das auf europäischen Werten fußt, in Einklang steht mit der Demokratie und durch das Europa digitale Souveränität erlangt. Nach Einschätzung des Verbandes ist das nur möglich, wenn Deutschland und die EU für Unternehmen ein attraktiver Wirtschaftsstandort sind, der Innovationen ermöglicht. Die künftige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Bereich Technik und IT scheint in der aktuellen Fassung der Digitalstrategie noch nicht ausreichend gesichert zu sein.
Für alle, die sich einen breiteren Überblick über die Digitalstrategie verschaffen möchten, ein Hörtipp beim Deutschlandfunk: In Folge 276 des Dlf-Politikpodcasts: "Kann die Ampel Digitalisierung?" sprechen Johannes Kuhn und Falk Steiner über Ambitionen und Realitäten der Ampel-Digitalpolitik.
(sih)