Google: Keine Kehrtwende bei Netzneutralität

Rückt Google vom Prinzip der Netzneutralität ab? Ein entsprechender Zeitungsbericht sieht in Verhandlungen des Suchmaschinenriesen mit Netzbetreibern einige politische Sprengkraft. Der Internet-Vorreiter dementiert nicht so ganz.

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Vollzieht Google eine Kehrtwende und schwört der Idee der Netzneutralität ab? Das Wall Street Journal (WSJ) berichtet am heutigen Montag, der Suchmaschinenriese verhandle mit Kabel- und Telefonnetzbetreibern über eine "Überholspur" für Googles Inhalte. Auch Yahoo und Microsoft hätten ihrerseits Deals mit den Netzbetreibern gemacht. Das von den Internet-Giganten bisher unterstütze Prinzip der Netzneutralität werde untergraben, folgert die Wirtschaftszeitung. Als "übertrieben" und "konfus" bezeichnet Google den Bericht.

Es geht um die Frage, ob Netzbetreiber zahlenden Kunden eine Schnellspur auf dem Datenhighway einrichten dürfen oder sie gesetzlich zur Neutralität gezwungen werden sollen. Die Frage gilt als wegweisend für die wirtschaftliche Entwicklung im Netz. Wenn sich die etablierten Player mit gut gefülltem Portemonnaie eine bevorzugte Behandlung kaufen können, gehe das zu Lasten junger Unternehmen und der Innovation, fürchten die Befürworter der Netzneutralität.

Die Unterstützer aus den Reihen der Netzaktivisten und Bürgerrechtsorganisationen konnten sich dabei bisher an den breiten Schultern von Wirtschaftsriesen wie Google oder Microsoft anlehnen. Doch gehen die nun von der Fahne, schreibt das Wall Street Journal. Wie andere Unternehmen auch habe sich Microsoft "stillschweigend" aus der Koalition zurückgezogen und erklärt, die Politik der Netzneutralität nicht weiter zu unterstützen. Stattdessen setze das Unternehmen auf geschäftliche Übereinkommen mit den Netzbetreibern.

Doch gibt es bei den Netzbetreibern offenbar auch Skepsis und die Furcht vor politischen Konsequenzen. "Wenn wir das machen, brennt es in Washington", zitiert das Blatt einen ungenannten leitenden Manager eines Kabelnetzbetreibers. Denn um die Netzneutralität wird in Washington auf höchster Ebene weiter gerungen. Der künftige US-Präsident Barack Obama gilt als Unterstützer des Neutralitätsgedanken; für das erste Jahr seiner Amtszeit sind entsprechende Gesetzes-Initiativen zu erwarten. Und nun alles ohne Google?

Alles Quatsch, meint Googles Mann in der Washingtoner Lobbyhalle. Google bleibe dem Prinzip der Netzneutralität verpflichtet, erwidert Richard Whitt im Public Poliy Blog des Unternehmens. Bei den angeblichen "Überholspur"-Verhandlungen mit den ISP gehe es um Colocation-Verträge. Google wolle Caching-Server für Inhalte, zum Beispiel von YouTube, in der Infrastruktur der Provider aufstellen und deren Kunden damit näher an die Inhalte bringen.

Das lokale Caching sei ein bei den Anbietern von Content Distribution Networks (CDN) wie Akamai oder Amazon übliches Verfahren, mit dem Inhalte schneller zum Nutzer gebracht und die Peerings zwischen den Netzen entlastet werden könnten. Die Colocation von Caching-Servern verstoße entgegen der Meinung einiger Kritiker nicht gegen das Gebot der Netzneutralität, meint Whitt, solange die Möglichkeit dazu allen Wettbewerbern offen stehe. Den Artikel im Wall Street Journal bezeichnet Whitt als "konfus" und "übertrieben".

Auch Internet-Rechtsexperte Lawrence Lessig, ausgesprochener Verfechter des Neutralitätsgedanken, weiß von der ihm unterstellen Kurskorrektur nichts. Lessig, der für den Posten des obersten Telekommuniaktionsaufsehers unter Obama im Gespräch sei, habe sich jüngst dafür ausgeprochen, dass Inhalteanbieter schnellere Leitungen einkaufen können und sich damit von seiner bisherigen Position abgesetzt, heißt es im Artikel des WSJ. Falsch, erwidert Lessig: Das haber er schon immer gesagt. Den Artikel bezeichnet Lessig als indirekten Versuch, "ein Drama über ein Drama über einen angeblichen Richtungswechsel in Obamas Politik" zu inszenieren.

Die anderen Unterstützer der Netzneutralität mögen aus der Geschichte dennoch eine Erkenntnis ziehen: Auf die starken Schultern der mächtigen Lobbypartner ist nicht unbedingt Verlass, "Don't be evil" oder nicht. Google, Microsoft und Konsorten sind in erster Linie börsennotierte Unternehmen. Sie handeln profitorientiert, im Zweifel muss das Engagement für das Gute zurückstehen. Wenn sich Google eine schnellere Auslieferung seiner Inhalte über Colocation-Verträge sichern kann, wird es das tun. Theoretisch steht diese Möglichkeit allen Anbietern offen. Ob die über die dafür nötigen Ressourcen verfügen, ist eine andere Frage. (vbr)