Google stellt neuen Quantenprozessor "Willow" vor
Googles Chip mit 105 Qubits korrigiert effektiv Fehler und führt Rechnungen aus, für die der beste Supercomputer länger bräuchte, als das Universum existiert.
Fünf Jahre nach der Veröffentlichung seines Sycamore-Chips stellt das Team von Google Quantum AI nun seinen Quantenprozessor der nächsten Generation vor: Willow ist sein Name, das englische Wort für "Weide", und er ist mit 105 supraleitenden Qubits ausgestattet.
Mit Willow will das Team zwei wissenschaftliche Errungenschaften demonstriert haben: Zum einen soll es mit den Qubits erstmals möglich sein, effektiv Rechenfehler zu korrigieren, die während Berechnungen entstehen. Das gaben die Forscher um Hartmut Neven, Gründer und Leiter von Google Quantum AI, in einer am Montag veröffentlichten Publikation im renommierten Fachmagazin "Nature" bekannt. Zum anderen soll der Chip eine Aufgabe in fünf Minuten gelöst haben, für die der beste Supercomputer 10 Quadrillionen (1025) Jahre brauchen würde. Das verkündete das Team in einer Pressemitteilung.
Effektive Quantenfehlerkorrektur
Ihren ersten Durchbruch, die effektive Korrektur von Fehlern, veröffentlichten Google-Forscher um Julian Kelly bereits im August auf dem Preprint-Server arXiv.org, jedoch ohne den Namen ihres neuen Chips bekanntzugeben. Nach erfolgreichem Peer-Review-Verfahren erschienen die Ergebnisse nun im Fachmagazin Nature.
Aufgrund der labilen Natur von Qubits sind Quantencomputer bis heute noch sehr fehleranfällig. Rechenergebnisse verrauschen, wenn mehrere Rechenschritte hintereinander ausgeführt werden – die Ergebnisse werden unbrauchbar. Diese Fehler zu erkennen und während der Rechnung zu korrigieren, ist das Ziel der Quantenfehlerkorrektur. Die Quantenfehlerkorrektur ist eine große Herausforderung und wird von vielen Experten als notwendiger Schritt für die Entwicklung von nützlichen, leistungsfähigen Quantencomputern angesehen.
Die Google-Forscher implementierten einen sogenannten Surface Code ("Oberflächencode"). Statt die Quanteninformationen in einem einzelnen Qubit zu speichern, wird sie über mehrere sogenannte physische Qubits verteilt. Diese bilden gemeinsam ein logisches Qubit, also eine Recheneinheit. So bleibt die notwendige Information erhalten, selbst wenn ein einzelnes physisches Qubit einen Fehler macht. Die sogenannte Distanz des Oberflächencodes gibt an, wie stark eine Störung sein muss, damit ein Fehler unbemerkt bleibt. Die Zahl der physischen Qubits erhöht sich quadratisch mit der Distanz.
Theoretisch sollte sich die Fehlerrate des Quantencomputers verringern, je mehr physische Qubits zur Fehlerkorrektur eingesetzt werden. Das gelang in der Praxis zuvor aber nicht, weil die physischen Qubits zu fehleranfällig waren. Die Qubits von Willow halten Superpositionen fünfmal länger aufrecht als beim Vorgänger Sycamore. Damit sind sie nun erstmals stabil genug, um effektive Fehlerkorrektur durchführen zu können. In Kombination ist die Fehlerquote des logischen Qubits ab einer Distanz von 7 geringer als die des besten physischen Qubits. Fehler werden dabei exponentiell unterdrückt: Wird die Distanz des Surface Codes um zwei erhöht, halbiert sich die Fehlerquote des logischen Qubits.
Mit ihrem Ergebnis legen die Forscher den Grundstein für fehlertolerantes Quantencomputing. "Als erstes System unterhalb der kritischen Schwelle ist dies der überzeugendste Prototyp für ein skalierbares logisches Qubit, der bisher gebaut wurde", schreibt Neven. "Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass nützliche, sehr große Quantencomputer tatsächlich gebaut werden können."
Schneller als der beste Supercomputer
Der zweite Durchbruch, den die Forscher mit Willow demonstrieren, ist seine Überlegenheit gegenüber klassischen Computern. 10 Quadrillionen Jahre soll der Supercomputer "Frontier" des Oak Ridge National Laboratory in den USA für eine Aufgabe benötigen, die Willow in weniger als fünf Minuten gelöst habe. Zum Zeitpunkt des Tests handelte es sich um den leistungsfähigsten Supercomputer der Welt. Mitte November verdrängte ihn "El Capitan" des Lawrence Livermore National Laboratory vom ersten Platz.
Die erste Version von Willows Vorgänger, der Sycamore-Chip (zu Deutsch: Maulbeerfeige) mit 53 Qubits, war der erste, der laut den Google-Forschern eine Aufgabe gelöst hat, die die Rechenkapazität von klassischen Supercomputern übersteigt. Diese Fähigkeit nannten sie "quantum supremacy", auf Deutsch Quantenüberlegenheit. Der Chip solle eine Aufgabe in 200 Sekunden gelöst haben, für die ein Supercomputer 10.000 Jahre gebraucht hätte. Die Nachricht erhielt große mediale Aufmerksamkeit, doch bereits wenige Tage später zeigte der Konkurrent IBM, dass ein Supercomputer diese Aufgabe mit den richtigen Methoden in nur 2,5 Tagen lösen könne. Damit wäre der Quantencomputer zwar noch immer schneller, der Quantencomputer ist jedoch nicht essenziell, um das Problem zu lösen.
Im vergangenen August erneuerte das Team die Behauptung mit einer aktualisierten Version des Sycamore-Chips mit 67 supraleitenden Qubits. Die Forscher schätzten, dass ein Supercomputer 10 Billionen Jahre bräuchte, um die gleiche Rechnung wie Sycamore auszuführen. Vom Begriff "quantum supremacy" nehmen die Forscher mittlerweile Abstand, sie sprechen lediglich von Berechnungen "beyond classical", also jenseits des klassisch möglichen.
Die Aufgabe, die der Quantencomputer – damals wie heute – lösen soll, heißt "Random Circuit Sampling" (RCS): Es handelt sich um einen Quantenalgorithmus, der eine Reihe von Zufallszahlen generiert. Dabei führen die Forscher eine Reihe von zufällig ausgewählten Quantengattern (also quantenphysikalischen Rechenoperationen) aus, um die Qubits in eine komplizierte Konfiguration zu bringen, die für klassische Computer schwierig zu simulieren ist.
"Mir ist kein praktischer Nutzen von Random Circuit Sampling bekannt", sagt etwa Sabine Wölk vom DLR-Institut für Quantentechnologien. Dies ist ein wiederkehrender Kritikpunkt des Benchmarking-Verfahrens der Google-Forscher. Dies sei jedoch auch nicht das Ziel, erklärt Neven während einer Präsentation des neuen Chips. "RCS ist nicht nützlich für Anwendungen. Es ist ein Benchmark, um zwei Quantenprozessoren oder einen Quanten- und einen klassischen Prozessor miteinander zu vergleichen." Nur wenn ein Quantencomputer beim RCS jenseits des klassischen Regimes performt, könne man auch bei nützlichen Anwendungen Vorteile erwarten. Auf die Nachfrage, ob Willow bereits für nützliche Anwendungen geeignet sei, reagierten die Forscher hingegen ausweichend. Willow könne womöglich einige Anwendungen in der Chemie und Physik ermöglichen, Genaueres müsse man jedoch abwarten.
Was kommt als Nächstes?
Neben dem RCS hätte das Unternehmen bisher lediglich Simulationen durchgeführt, die für die wissenschaftliche Forschung relevant seien, jedoch nicht jenseits des klassisch Möglichen liegen. "Unser Ziel ist es, beides gleichzeitig zu tun", schreibt Neven, "in den Bereich der Algorithmen vorzudringen, die jenseits der Reichweite klassischer Computer liegen und die für reale, kommerziell relevante Probleme nützlich sind."
Seine längerfristige Planung präsentiert das Unternehmen in einer Roadmap. Mit Willow hätte es einen wichtigen Schritt in Richtung des dritten von sechs Meilensteinen erreicht. Den dritten Meilenstein, ein langlebiges, logisches Qubit, wolle es in ein oder zwei Jahren erreichen. Wann mit Meilenstein 6 zu rechnen sei, einem großen, fehlerkorrigiertem Quantencomputer mit Millionen Qubits, konnte das Team nicht benennen.
Langfristig erwartet das Unternehmen, dass Quantencomputer einen bedeutenden Vorteil in diversen Anwendungsfeldern haben werden. Dazu gehören etwa die Entwicklung neuer Medikamente, das Design neuer Batterien für Elektroautos, Fortschritte in der Fusionsforschung und die Erkundung alternativer Energiequellen.
In der vorherigen Version des Textes hieß es, die Fehlerquote des logischen Qubits halbiere sich, wenn die Zahl der physischen Qubits verdoppelt werde. Stattdessen muss die Distanz des Surface Code um zwei erhöht werden.
(spa)