Grundsatzdebatte im Bundestag über Achtung der Grundrechte
Die Opposition warf der Koalition vor, mit Gesetzen etwa zu Online-Durchsuchungen die Grenzen der Verfassung zu sprengen. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut", umschrieb Jörg Tauss von der Piratenpartei verbreitete Ansichten.
Die Opposition hat der großen Koalition am heutigen Freitag in der letzten Sitzung des Bundestags vor der Sommerpause vorgeworfen, mit Gesetzen etwa zu heimlichen Online-Durchsuchungen oder zur Vorratsdatenspeicherung an die Grenzen der Verfassung gegangen zu sein. "Dabei läuft man auch Gefahr, dass man diese überschreitet", mahnte Max Stadler von der FDP-Fraktion zum "Nachdenken, ob man immer den äußersten Spielraum ausnutzen soll". Anlass zur Sorge gab den Liberalen, die sich in einer großen Anfrage über den Grundrechtsschutz an die Bundesregierung gewandt hatten, dass das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren in einer Fülle von Entscheidungen die Gesetzgebung korrigiert habe.
Für Petra Pau zeigen die Antworten auf die FDP-Anfrage, wie "selbstgefällig" die Bundesregierung mit den Grundrechten umgehe. Es sei Hohn, als Zeichen für die große "Akzeptanz" der Grundrechte in der Bevölkerung die hohe Anzahl der Verfassungsbeschwerden heranzuziehen. Tatsächlich habe die Koalition individuelle Freiheitsrechte minimiert und den "Geist des Grundgesetzes" umgedeutet. Der Staat erhebe sich immer weiter über die Bürger. So würden mit der verdachtsunabhängigen Aufzeichnung der Nutzerspuren "alle Bürger ausnahmslos unter Generalverdacht" gestellt, was einem "Stück aus dem Tollhaus" gleichkomme. Die größten Bedrohungen für den Bürger kämen von der Koalition, nicht von Terroristen. Deutschland entwickle sich weg vom Rechtsstaat hin zum präventiven Sicherheits- oder Überwachungsstaat.
Jerzy Montag von den Grünen warf der Bundesregierung vor, auf die elementarsten Fragen der Bürger vielfach nicht oder nur mit Floskeln geantwortet zu haben. Generell sei die umfangreiche Darlegung von einer Haltung getragen, als ob es bei der Achtung der Grundrechte überhaupt keinen Anlass zu Kritik gäbe. Zugleich plädierte Montag für die gesonderte Verankerung der Grundrechte auf Datenschutz, auf Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen sowie auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Grundgesetz.
Der von der SPD-Fraktion zur Piratenpartei gewechselte Jörg Tauss rügte nach seinem "weiten Weg vom Piratenstühlchen" zum Rednerpult, dass derzeit eine Debatte in froher Eintracht mit chinesischen Zensoren und iranischen Mullahs über die "Rechtsfreiheit" im Netz stattfinde. Es sei ein Skandal, dass Unionsabgeordnete offen davon redeten, dass man in diesem Bereich von China lernen könne. Einige Abgeordneten hätten Gesetzen wie dem zur Vorratsdatenspeicherung nur zugestimmt in der Hoffnung, das Karlsruhe die Bestimmungen wieder kassieren würde. Es gebe daher wachsenden Widerstand in weiten Teilen der jungen Generation gemäß dem Motto: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut". Heranwachsende Gamer etwa würden es sich nicht mehr gefallen lassen, pauschal als "Killerspieler" verunglimpft zu werden.
Im Namen der Union wandte sich Jürgen Gehb gegen die "unsägliche Behauptung", dass nicht mehr das Leitbild des mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Bürgers Pate der Gesetzgebung sei. Alle Grundrechte würden schon per se miteinander kollidieren, Freiheitsrechte etwa naturgemäß mit der Schutzpflicht des Staates. Die Opposition solle daher den "Grundkonsens innerhalb der demokratischen Parteien" nicht aushebeln: "Sie schärfen sonst Ränder, die wir alle nicht schärfen wollen", verlangte der CDU-Abgeordnete eine verbale Abrüstung. Es gelte schließlich nicht mehr das Motto: "Big Brother is watching you." Bürger und die Politik müssten vielmehr aufpassen, dass nicht der "Little Brother" aus der Wirtschaft "uns watched". Da Terroristen sich natürlich moderner Technologien bedienen würden, müssten dies "verdammt noch mal" auch die Sicherheitsbehörden tun dürfen. "Mehr als eine richterliche Anordnung können wir an rechtsstaatlichen Voraussetzungen beim besten Willen nicht erfüllen."
Carl-Christian Dressel betonte für die SPD-Fraktion: "Unser Staat ist ein Grundrechtsstaat und hat sich als solcher fortentwickelt." Ein Eingriff in die Grundrechte sei keine "Bösartigkeit per se". Er warf die Frage auf, wo der Einsatz für Grundrechte der FDP in den Landesregierungen bleibe, an denen sie beteiligt sei. Grundrechte bildeten eine objektive Wertordnung, die Schutzpflichten beinhalte. Sie würden nicht "verkommen", es gebe darauf auch keine "Anschläge per Gesetz". Der parlamentarische Justiz-Staatssekretär Alfred Hartenbach (SPD) räumte ein, dass sich manche Gesetzgebung der vergangenen Legislaturperiode wie die zur Vorratsdatenspeicherung schwierig gestaltet habe. Auch Daniela Raab von der CSU meinte, beim Schutz persönlicher Daten müsse die Politik aufpassen, "dass wir nicht mehr abgreifen, als uns gut tut". (Stefan Krempl) / (jk)