Gutachten bescheinigt Kernfusionsprojekt ausreichenden Strahlenschutz
In Greifswald wollen Wissenschaftler erforschen, ob die Kernfusion als Energiequelle genutzt werden kann. Kritiker sehen Risiken und bezweifeln, dass der Strahlenschutz der Anlage ausreicht. Nun liegt ein Gutachten vor.
Von dem geplanten Kernfusionsexperiment "Wendelstein 7-X" in Greifswald gehen einem jetzt vorgelegten TÜV-Gutachten zufolge keine Strahlungsgefahren für Menschen und Umwelt aus. Die 1,80 Meter starke Betonhülle erfüllt demnach alle Anforderungen an den Strahlenschutz. "Unsere Untersuchungen und Berechnungen haben ergeben, dass die Wände 20 Zentimeter dicker sind als erforderlich", sagte Gutachter Michael Bittner von TÜV Süd. Die Analyse der Probebohrungen habe gezeigt, dass Zusammensetzung und Struktur des Betons den Vorgaben entsprechen.
Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) legte die etwa 120 Seiten umfassende Expertise zur sogenannten Torushalle am Dienstag dem Kabinett in Schwerin vor. Am Mittwoch wird das Gutachten im Sozialausschuss des Landtags beraten und auf einer Informationsveranstaltung in Greifswald öffentlich vorgestellt.
Sicherheitsbedenken
Im Greifswalder Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) soll mit Hilfe eines Fusionsreaktors von elf Metern Durchmesser die Energiegewinnung nach dem Wirkmechanismus der Sonne erforscht werden. Obwohl dabei keine radioaktiven Brennelemente wie in herkömmlichen Kernkraftwerken zum Einsatz kommen, wird auch dabei Strahlung freigesetzt. Neutronen- und Photonenfluss sowie Gammastrahlung werden laut Bittner jedoch durch die dicken, borhaltigen Wände absorbiert. Kritiker bezweifeln die technische Umsetzbarkeit der Kernfusion in wirtschaftlichem Maßstab.
(Bild:Â IPP)
Umweltverbände, Linke und Grüne hatten im vorigen Jahr erhebliche Sicherheitsbedenken geäußert und so die neuerlichen Untersuchungen der Außenhülle in Gang gesetzt. Laut Bittner wurden ältere Betonproben geprüft und von außen zusätzlich 18, etwa 90 Zentimeter tiefe Bohrkerne genommen, von denen sechs gründlich analysiert worden seien.
Die Sicherheitsbedenken sind nach Einschätzung des Sozialministeriums nun ausgeräumt. "Mit dem Gutachten ist der Nachweis eines ausreichenden Strahlenschutzes erbracht", sagte Sozialstaatssekretär Nikolaus Voss. Die Kosten des Gutachtens von etwa 100.000 Euro trage das Max-Planck-Institut, das allerdings mit Steuermitteln finanziert wird.
Gesundheit und Umweltschutz
Nach Angaben von Voss stehen noch weitere Gutachten aus, ehe das Institut die notwendige Betriebsgenehmigung beantragen kann. Dies könne voraussichtlich Mitte 2014 geschehen, die Bearbeitung dann etwa ein Jahr dauern. "Die Gesundheit der Bevölkerung und der Schutz der Umwelt haben Priorität. Gründlichkeit geht deshalb vor Schnelligkeit", betonte Voss. Eine Genehmigung für den Betrieb der Anlage werde es erst geben, "wenn alle Auflagen erfüllt sind".
Früheren Planungen zufolge sollte das Fusionsexperiment schon vor Jahren beginnen. Probleme mit den supraleitenden Magnetspulen, durch die später ein 100 Millionen Grad heißes Plasma fließen soll, oder an der Mechanik hatten aber immer wieder für Verzögerungen beim Aufbau der Prototyp-Anlage gesorgt.
Insgesamt fließen nach IPP-Angaben zwischen 1997 und 2014 rund eine Milliarde Euro öffentliche Gelder in das Forschungsprojekt. Zu den Investitionskosten von 370 Millionen Euro für die Anlage kommen für den Zeitraum von 17 Jahren Personalkosten für die etwa 500 Mitarbeiter in Höhe von rund 310 Millionen und Betriebskosten von 280 Millionen Euro. Das 30 mal 30 Meter große Gebäude für den Fusionsreaktor kostete laut IPP 100 Millionen Euro. Jüngsten Angaben zufolge werden von 2014 an bis 2019 pro Jahr noch jeweils rund 60 Millionen Euro in Greifswald investiert. (anw)