Habeck sieht "drastischen Rückstand" beim Klimaschutz

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zieht Klimabilanz und legt vor, was in kurzer Zeit passieren soll, damit die Klimaziele erreicht werden

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Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland.

(Bild: Umweltbundesamt)

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Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hat die Eröffnungsbilanz Klimaschutz vorgelegt, um aufzuzeigen, wo Deutschland bei den einzelnen Handlungsfeldern steht. Sie decke einen "drastischen Rückstand" auf, "die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend", sagte Habeck am heutigen Dienstag in Berlin.

Der Gebäudesektor werde 2021 zum zweiten Mal in Folge sein Sektorziel verfehlen. Es sei absehbar, dass insgesamt die Klimaziele der Jahre 2022 und 2023 verfehlt werden, sagte Habeck, der damit eine Befürchtung bestätigte, die er bereits Ende vorigen Jahres in einem Zeitungsinterview abgegeben hatte. Um den Rückstand wettzumachen, "müssen wir die Geschwindigkeit unserer Emissionsminderung verdreifachen und deutlich mehr in weniger Zeit tun". Während im vorigen Jahrzehnt die Emissionen im Durchschnitt jährlich um 15 Millionen Tonnen gesunken sind, müssen sie von nun an bis 2030 um 36 Millionen bis 41 Millionen Tonnen pro Jahr sinken.

In der Energiewirtschaft sei die Eröffnungsbilanz (PDF) sehr ernüchternd. Die CO2-Emissionen seien 2021 wieder gestiegen, der Ausbau der Windenergie an Land und auf See ist auf dem niedrigsten Stand der vergangenen zehn Jahre, die Fertigstellung der Stromnetze verzögere sich erneut um weitere Jahre, der Strombedarf für 2030 sei systematisch unterschätzt worden. Daher habe "absolute Priorität", die Erneuerbaren Energien drastisch beschleunigt auszubauen und die Hemmnisse und Hürden aus dem Weg zu räumen. Um hier voranzukommen, soll beispielsweise das Ziel von zwei Prozent der Landesflächen für die Windenergie an Land gesetzlich verankert werden.

Der Verkehrssektor emittierte 2020 pandemiebedingt rund 146 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente an Treibhausgasen, das sind 20 Prozent der Emissionen Deutschlands. Zwischen 2010 und 2019 waren die Emissionen im Verkehr allerdings um gut 7 Prozent auf 164 Millionen Tonnen angestiegen. Dieser Trend müsse bis 2030 nicht nur gebrochen werden, meint Habeck.

Damit hier das Sektorziel 2030 erreicht werden kann, müssten 85 Millionen Tonnen und damit um etwa 50 Prozent weniger CO₂ gegenüber 2019 ausgestoßen werden. Die aktuelle Lücke zum Klimaziel 2030 beträgt laut Projektionsbericht 41 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, kumuliert von 2022 bis 2030 betrage die Klimalücke 271 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.

Im Verkehrssektor seien aber in den vergangenen Jahrzehnten keine ausreichenden strukturellen Veränderungen für eine nachhaltige Minderung der Treibhausgas-Emissionen erreicht worden, resümiert Habeck. So verharre der Pkw-Personenverkehr nach Jahrzehnten des kontinuierlichen Wachstums weiter auf hohem Niveau, während der Anteil der Bahn 8 Prozent, der Anteil des Rad- und Fußverkehrs 6 Prozent betrage. Auch im Güterverkehr habe der Lkw-Verkehr in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen, während der Anteil der Bahn bislang weniger als 20 Prozent betrage.

Damit das im Klimaschutzgesetz festgelegte Sektorziel 2030 für den Verkehr eingehalten werden kann, müsse der Anteil der elektrischen Fahrleistungen massiv erhöht werden. Das erfordere, den Bestand an Elektrofahrzeugen zu erhöhen. Mit dem im Koalitionsvertrag festgelegten Ziel von mindestens 15 Millionen vollelektrischer Pkw im Jahr 2030 könne der elektrische Fahrleistungsanteil im Pkw-Verkehr zwar auf über 40 Prozent gesteigert werden, die Klimaschutzlücke werde aber so nur zur Hälfte geschlossen.

Die Treibhausgasemissionen in Deutschland sind laut der Bilanz von 1990 bis 2020 um 41,3 Prozent auf rund 729 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesunken. Der deutliche Rückgang im Jahr 2020 um 8,9 Prozent beziehungsweise rund 71 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sei nur teilweise auf klimapolitische Maßnahmen und dauerhafte strukturelle Veränderungen zurückzuführen.

Nun beginne für die Bundesregierung die Arbeit an einem Klimaschutz-Sofortprogramm. Sie will alle notwendigen Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen so auf den Weg bringt, dass die Verfahren bis Ende 2022 abgeschlossen sein würden. "Selbst mit diesem ehrgeizigen Zeitplan werden viele Erfolge erst in einigen Jahren zu sehen sein", sagte Habeck.

Zu Habecks Sofortmaßnahmen gehört eine Novelle des Erneuerbaren Energiengesetzes (EEG), dabei werde der Grundsatz verankert, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien im überragenden öffentlichen Interesse sei und der öffentlichen Sicherheit diene. Zu einem "Solarbeschleunigungspaket" zählen unter anderem eine Verbesserung beim Mieterstrom, die Anhebung der Ausschreibungsschwellen und eine Öffnung der Flächenkulisse für Freiflächenanlagen.

Kurzfristig sollen Flächenpotenziale für Wind an Land erschlossen, der Ausbauprozess soll mit einem "Wind-an-Land-Gesetz" beschleunigt werden. Der Strom aus Erneuerbaren Energien soll günstiger im Vergleich zu fossilen Energieträgern werden. Zudem will die Bundesregierung mit der Industrie Klimaschutzverträge abschließen. Die Industrie benötige für die Transformation in klimaneutrale Produktionsverfahren verlässliche Förder- und Investitionsrahmen.

Die Bundesregierung will sich für eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung sowie die Dekarbonisierung und den Ausbau der Wärmenetze einsetzen. Dafür will sie die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) unmittelbar nach der beihilferechtlichen Genehmigung in Kraft setzen und ihre Finanzierung aufstocken. Die Regeln für Neubauten und Gebäudesanierungen sollen auf das Ziel der Klimaneutralität 2045 sowie einen deutlich reduzierten Energiebedarf ausgerichtet werden. Außerdem soll der Markthochlauf für grünen Wasserstoff beschleunigt werden.

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden und bis 2030 den Anteil Erneuerbarer Energien auf 80 Prozent steigern. Das 2019 beschlossene deutsche Klimaschutzgesetz sieht jährliche CO₂-Minderungen vor, die von einem unabhängigen Expertenrat überprüft werden. Enthalten sind darin Minderungsziele für die Bereiche Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft. Werden Etappenziele verfehlt, müssen die zuständigen Ministerien innerhalb von drei Monaten nachsteuern.

(anw)