Halbleitermarkt: Profite und Umsätze steigen, Kurse fallen

Obwohl die Umsätze und Profite bei fast allen Chipschmieden weltweit geradezu explosionsartig wachsen, fallen die Aktienkurse der Branche.

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Obwohl die Umsätze und Profite bei fast allen Chipschmieden weltweit geradezu explosionsartig wachsen, fallen die Aktienkurse der Branche. Echte und vermeintliche Experten rätseln, was die Ursache für die schlechte Bewertung der Chipfirmen durch die Anleger sein könnte. Die Chipfirmen selbst verkünden freudestrahlend ihre Rekordergebnisse. Nach Intel und Philips melden nun auch STMicroelectronics, TSMC und Chartered Semiconductor immenses Wachstum der Profite.

Bei einigen Firmen haben sich die Profite verdreifacht, entsprechend positiv sehen die Manager in die Zukunft. Sie investieren kräftig in neue Anlagen und Prozesstechniken, die schnellere und leistungsfähigere Chips und gleichzeitig preiswertere Herstellung ermöglichen sollen. So startete etwa IBM gerade das größte Investitionsprogramm der Firmengeschichte. Infineon meldet den Ausbau des Regensburger Chipwerkes: Dort soll innerhalb der nächsten drei Jahre die Fertigung für fast eine Milliarde Mark von 6- auf 8-Zoll-Wafer umgestellt werden. Man erwartet, dass dadurch auch die Mitarbeiterzahl von heute 3.300 um etwa 10 Prozent wächst.

Ungeachtet aller positiven Nachrichten aus der Branche purzeln jedoch die Aktienkurse. Selbst die Rekordmeldungen sorgen allenfalls kurzfristig für einen Kursanstieg. Über die Ursachen für die schlechte Bewertung der Zukunftschancen der Chipschmieden durch ihre Anteilseigner zerbrechen sich Analysten und Experten den Kopf. Doch ganz ähnlich wie beim Euro, für dessen kontinuierlichen Fall schon Dutzende von teilweise widersprüchlichen Erklärungsversuchen kursieren, bleibt das Phänomen der fallenden Kurse offenbar rätselhaft.

Bei manchen Firmen liegt es nahe, dass die Anleger nach einiger Zeit enormen Wachstums einfach das Ende der Fahnenstange vermuten. Das trifft beispielsweise bei Teradyne zu: Dieser Hersteller von Test- und Messgeräten für Halbleiterprodukte meldete für das dritte Quartal ebenfalls Rekordergebnisse. Doch die Anleger erwarten, dass die Halbleiter-Fabs nun bestens ausgestattet sind und der Bedarf künftig sinkt. Die Zahlen des US-Verbandes der Hersteller von Halbleiter-Produktionsanlagen sprechen allerdings nicht unbedingt für diese These – man meldet nach wie vor volle Auftragsbücher.

Ein weiterer Erklärungsversuch für die fallenden Kurse könnte der bekanntermaßen zyklische Umsatzverlauf der Halbleiterbranche sein. Dieser so genannte "Schweinezyklus" ist ein bekanntes Phänomen, trifft jedoch die Halbleiterindustrie wegen ihrer besonders dynamischen Entwicklung besonders. Während Verbesserungen der Herstellungstechnik in anderen Industriebranchen meist nur einige Prozent pro Jahr bringen, steigern Halbleiterhersteller ihre Fertigungskapazität manchmal geradezu explosiv. Der Übergang zur Verarbeitung immer größerer Wafer bei gleichzeitiger Reduktion der Strukturgröße führt zu gewaltig gesteigerter Produktionsausbeute.

Auch der so genannte Yield, also der Anteil brauchbarer Chips an der Gesamtproduktion, steigt stetig. Während in früheren Jahren zu Beginn der Fertigung neuer Chipdesigns nur ein geringer Prozentsatz der verarbeiteten Waferfläche nutzbare ICs lieferte, erreichen die Chipfabriken mittlerweile hohe Ausbeuten innerhalb weniger Wochen nach dem "Tape-Out", also der ersten Pilotfertigung eines neuen Halbleiters. Zu diesen guten Ausbeuten tragen immer präzisere Steuerungsverfahren der Prozesse, höhere Qualität der Rohprodukte und ein allgemein besseres Wissen über die Grundlagen der Halbleiterphysik bei.

Den riesigen Steigerungsmöglichkeiten der Produktionskapazität steht in enger Wechselwirkung mit der Preisentwicklung für einzelne Halbleiterprodukte. So fallen bekanntlich die Preise für Prozessoren kontinuierlich. Die Prozessorschmieden können also Profite nur dadurch steigern, indem sie ihre Fertigung stetig billiger machen, immer neue und leistungsfähiger Produkte auf den Markt bringen, immer mehr Chips verkaufen oder ihren Marktanteil ausbauen. Manche Anleger fürchten daher, dass die wachsende Konkurrenz zwischen AMD und Intel zu einem schnellen Preisverfall und dadurch zu sinkenden Profiten beider Firmen führt.

Bei den Speicherchips ist die Situation etwas anders: Die Preise schwanken stark. Dadurch wird es fast unmöglich, den Geschäftserfolg eines bestimmten Speicherlieferanten vorauszusagen – trotz starker Steigerung des Absatzes von Speicherchips kann ein plötzlicher Preisverfall den Profit schnell aufzehren. Angesichts des explosiven Wachstums der Halbleitermärkte in diesem Jahr befürchten manche Experten, dass die Branche in den kommenden Jahren einfach nicht mit der gleichen Rate weiter wachsen kann. Dataquest prognostizierte kürzlich den nach der Schweinezyklustheorie zu erwartenden Einbruch für das Jahr 2003.

Doch so viele Erklärungsversuche man auch bemüht: Die Situation der Branche sah im Frühjahr dieses Jahres eigentlich nicht besser aus, trotzdem schossen die Kurse damals in die Höhe. Die Infineon-Aktie rissen die Anleger den Banken geradezu aus den Händen – heute steht das Papier nur etwa 12 Euro über dem Ausgabekurs. Und das, obwohl Infineon seit dem Börsengang eigentlich nur positive Nachrichten lieferte. Es scheint also, als hätte der Kursverlauf der Halbleiteraktien recht wenig mit der Realität der Märkte und der technischen Entwicklung zu tun – eine schlüssige Erklärung für das Verhalten der Börsen ist jedenfalls nicht in Sicht. Die Prognosen der Analysten ähneln immer mehr dem Blick in die Kristallkugel. (ciw)