Hauptgegner Deutsche Telekom: VATM feiert 25 Jahre Telecom-Liberalisierung​

Die Liberalisierung hat sich ausgezahlt, doch gibt es viele Baustellen. Das war Tenor auf der Geburtstagsparty des VATM. Ein Thema wurde höflich ausgespart.​

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Rechts ein altes Telefon mit Kurbel, in der Mitte ein Schnurlostelefon in Ladeschale, links ein Telefon mit Wählscheibe

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

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Inhaltsverzeichnis

"25 Jahre Liberalisierung" begeht der Verband der Anbieter alternativer Telekommunikations- und Mehrwertdienste (VATM), und damit auch seinen eigenen Geburtstag. Denn mit dem Ende des Telekommunikationsmonopols entstand auch der Verband, um die Interessen der Konkurrenten der Bundespost-Ausgründung Deutsche Telekom zu vertreten. Gefeiert wurde Mittwoch im Berliner Zukunftsmuseum Futurium. Der seit 25 Jahren währende Streit ging auch bei der Festveranstaltung weiter.

"Mehr Wettbewerb, mehr Qualität", das seien die Ziele der Politik gewesen, als der Telekommunikationsmarkt liberalisiert wurde, sagte Verbandspräsident David Zimmer. Es sei bezeichnend, dass es damals zum einzigen Mal geschafft worden sei, ein Ministerium abzuschaffen - das damalige Postministerium. (Anmerkung: Tatsächlich wurden in der Geschichte der BRD mehrere Ministerien abgeschafft.) Das Ziel der vielen, einst kleinen Unternehmen wären faire Bedingungen gewesen – dafür habe es einen Verband gebraucht. Auch 25 Jahre später sei der Hauptgegner in diesem Markt die Deutsche Telekom, sagte Zimmer. Deren CEO Tim Höttges war für eine Podiumsdiskussion angefragt, konnte allerdings nicht teilnehmen.

"Würde sich die Politik das nochmal trauen? Natürlich nicht." Der Impuls sei von der EU-Kommission ausgegangen, erinnerte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes. Es sei gut, dass sich die Regulierung im Telekommunikationsmarkt durchgesetzt habe – im Energiebereich habe das viel länger gedauert. Mit dem Telekommunikationsgesetz sei ein starker Regulierer geschaffen worden: die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation, 2005 in Bundesnetzagentur (BNetzA) umbenannt.

Einer der Rückschritte in der Telekommunikationsliberalisierung sei aus wettbewerblicher Sicht die Übernahme von E-Plus durch Telefónica gewesen. "Einer geht raus, gleichzeitig sagen sie: 'Das geht nur unter der Auflage, dass ein vierter wieder reinkommt", was widersinnig gewesen sei, so Mundt. Man sehe heute, wie schwer es sei, einen vierten Anbieter in den Markt zu bringen. Mundt spielt damit auf die Schwierigkeiten rund um den Markteintritt von 1und1 als Mobilfunknetzbetreiber an. Dazu komme derzeit ein "Wust aus Regulierung", insbesondere auch aus Brüssel. Das müssten auch die Behörden erst einmal verdauen.

Eine Herausforderung der aktuellen Zeit sei Open Access, sagte Wilhelm Eschweiler, Vizepräsident der Bundesnetzagentur. Dabei stecke der Teufel im Detail. Auch die Migration von Kupfer- auf Glasfasernetze sei eine Herausforderung. Wettbewerbsrechtlich würde dieses Thema für das Bundeskartellamt eine stärkere Rolle spielen, kündigte Andreas Mundt an.

Keine Gefangenen machte Jan Budden, CEO der Deutsche GigaNetz: Nach eigenen Berechnungen gebe es nur 2,5 Millionen aktivierte Glasfaser-Anschlüsse, lediglich 500.000 Neuanschlüsse kämen jährlich hinzu. "Wir sitzen auf 140 Milliarden Euro Schulden." Und die Rahmenbedingungen seien gegenwärtig schlecht. Der Ausbau sei eine komplett verzettelte Landschaft, die Telekom habe kein Interesse am Glasfaserausbau, meint Budden. Er fordert große, zusammenhängende Ausbaugebiete. Budden fürchtet, dass Investoren das Land verlassen werden, zumal es viel interessantere Investitionsmöglichkeiten gäbe als Glasfaser in Deutschland. 6,4 Millionen deutsche Haushalte hätten einen Glasfaseranschluss, wovon 3,4 Millionen aktiviert seien, widersprach Bundesnetzagentur-Vizepräsident Eschweiler dem Chef der Deutsche GigaNetz.

Update

Die Deutsche Giganetz merkt im Nachhinein an, dass Budden hiermit den Schuldenstand der Deutschen Telekom, nicht der Deutsche Giganetz gemeint habe.

Für Deutsche-Glasfaser-Chef Andreas Pfisterer ist die Messlatte für Investitionen nicht Deutschland, sondern Europa oder andere Märkte. "Es nützt nix, wenn man sagt, für unsere Verhältnisse sind wir schon ganz gut unterwegs" adressierte er die Politik. "Wir müssen nicht nur Netze bauen, wir müssen sie auch auslasten", fügte der CEO von 1&1 Versatel, Sören Trebst, hinzu. Es fehle an einem Zielbild für den Glasfasermarkt. Wichtig seien regulatorische Vorgaben, die Planungssicherheit geben. "Dass sie im Glasfasermarkt in einen perfekten Sturm geraten sind, das ist wahrscheinlich so", konzedierte Andreas Mundt angesichts steigender Zinsen, fehlender Fachkräfte und den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine. Aber die Probleme seien nicht automatisch mit Regulierung lösbar. Bei der Diensteanbieterverpflichtung könne man vielleicht noch nachsteuern, meinte der Chef des Bundeskartellamts.

In der Branche herrscht derzeit eine große Erwartungshaltung an die Regulierungsbehörde. Seit Monaten geht es intensiv um das Thema Überbau, also wenn mehrere Unternehmen parallele Anschlussnetze errichten. Diese Art von Wettbewerb könne sich wirtschaftlich nur die Deutsche Telekom leisten, beklagte Pfisterer. Die BNetzA hat vor einigen Wochen eine Monitoringstelle dazu eingerichtet. 250 Eingaben zum Aufregerthema Überbau gebe es derzeit, berichtete Bundesnetzagenturvize Eschweiler. 60 Prozent davon kämen von Unternehmen, fünf Prozent von Bürgern, 35 von Gebietskörperschaften. Ein Drittel der Beschwerden von Unternehmen sei von der Deutschen Telekom. "Es geht zuerst einmal darum, ein Stück Rationalität in die Debatte hineinzubekommen", forderte er die Branche zur Geduld auf. "Wir machen alles andere als die Augen zu."

Der Bundeskartellamtspräsident warnte davor, nur auf tatsächlich erfolgte Mehrfachverlegung abzustellen: "Sie müssen gar nicht überbauen – es reicht, wenn sie es ankündigen", erklärt er den Mechanismus. Eigene Untersuchungen habe das Bundeskartellamt dazu keine. Das Wettbewerbsrecht könne solches Verhalten kaum adressieren. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Stefan Schnorr, kündigte eine Studie zum Mehrfachausbau an, die Ende des Monats vorliegen soll. Schnorr vertraut dabei auf die zuständigen Behörden: "Wenn wirklich missbräuchliches Verhalten vorliegt, können Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt tätig werden." Allerdings sei die Möglichkeit zum Infrastrukturwettbewerb europarechtlich normiert. Er warte bis heute darauf, dass jemand aus dem Kreis der sich beschwerenden Unternehmen ihm einen Vorschlag für eine europarechtskonforme Norm im Telekommunikationsgesetz vorlege

Auch an anderer Stelle zeigten sich Differenzen, sowohl zwischen den Unternehmen der Branche als gegenüber Behörden. Mundt etwa wunderte sich öffentlich über die fehlenden Kooperationsvereinbarungen zwischen Anbietern: "Wir warten ja darauf als Bundeskartellamt. Wenn das eine Rolle spielt, sind wir sofort dabei, aber wir brauchen Praxis." Er verstehe nicht, warum sich die Marktteilnehmer noch nicht auf einen gemeinsamen Open-Access-Standard geeinigt haben. Bundesnetzagenturvizepräsident Eschweiler teilte mit, dass diese Arbeiten fortgeschritten seien, und zeigte sich zuversichtlich, dass es in absehbarer Zeit eine Festlegung geben wird.

Für den Mobilfunkausbau forderte Telefónica-Deutschland-CEO Markus Haas eine deutschlandweite Genehmigungsfiktion: "Noch immer dauert ein Antrag für eine Mobilfunkantenne 256 Tage im Durchschnitt", rechnete er vor, "obwohl sie dann eh genehmigt wird." Er schaue mit Hoffnung auf die Initiative der Bundesregierung für den sogenannten "Deutschlandpakt", doch bislang wäre er "too little, too late". Ob sich Bund und die für Baurecht zuständigen Ländern verständigen können, wird sich frühestens bei den Gesprächen zwischen Bundeskanzler und Ministerpräsidentenkonferenz zeigen.

Staatssekretär Schnorr unterstrich die Erfolgsgeschichte der Liberalisierung mit mehr Auswahl, niedrigeren Preisen und höheren Datenraten. Nie zuvor hätten die Menschen so viel kommuniziert wie heute; ob die Kommunikation dabei besser geworden sei, daran habe er allerdings Zweifel, so Schnorr.

Ein Seitenaspekt der Historie des VATM wurde an diesem Abend hingegen weitgehend ausgespart: Klingeltöne, Frösche und Sparabos wurden freundlicherweise zum Geburtstag nicht erwähnt. Dabei hat der VATM für dieses aus heutiger Sicht eigenwillige Geschäftsmodell mit Mehrwertdienstnummern lange gekämpft.

(ds)