Hintergrund: Die Sucht am Monitor
Wenn die Erlebnisse am Rechner wichtiger als die Wirklichkeit werden, ist Vorsicht angesagt. Es droht die Sucht.
Computerspiele gehören heute zum Alltag vieler Jugendlicher. Für den einen sind die Games ein Mittel, um mit Gleichaltrigen beim gemeinsamen Spiel in Kontakt zu kommen. Andere flüchten sich dagegen regelrecht in die virtuelle Welt. Egal ob als "Fußballmanager" oder Monster jagender "Krieger" oder einfach als Surfer ins Netz: Wenn die Erlebnisse am Rechner wichtiger als die Wirklichkeit werden, ist Vorsicht angesagt. Es droht die Sucht.
Wie viele Menschen betroffen sind, ist noch unklar. Zwar hat die Humboldt-Universität in Berlin die Ergebnisse einer Umfrage in die Studie "Stress und Sucht im Internet" einfließen lassen. Doch die Daten seien nicht repräsentativ, so die Wissenschaftler. Die Raten der Süchtigen im Alter zwischen 15 bis 18 Jahren schwanken derzeit zwischen 2,2 und 15,8 Prozent der Befragten. Fest steht aber, dass "die Zahl meiner Patienten, die internet- oder computerspielsüchtig sind, in letzter Zeit deutlich zugenommen hat", sagt Friedrich Gocht, Kinder- und Jugendpsychotherapeut aus Reutlingen.
Auch wann genau von einer Sucht nach Computerspielen und dem Internet gesprochen werden kann, ist schwer zu sagen. "Die Dauer allein ist kein Kriterium", sagt Thomas Hünerfauth, Diplompsychologe und Verhaltenstherapeut aus Mittenbuch (Bayern). Vor allem das Surfen im Internet könne auch einen ernsthaften Hintergrund haben, zum Beispiel eine aufwendige Recherche für eine Hausarbeit. Eine Abhängigkeit liege vielmehr dann vor, wenn man merkt, dass es schwierig wird, Internet und Games auch mal sein zu lassen.
"Betroffen sind vor allem Jungen", sagt Christiane Papastefanou, Jugend- und Familienpsychologin aus Mannheim. Die größere Aufgeschlossenheit der Jungen gegenüber der Technik spiele dabei eine wichtige Rolle. Zudem sei in Jugend-Cliquen Anerkennung dadurch zu gewinnen, dass jemand ein Computerspiel gut beherrscht. Um solches Können zu erreichen, müsse schon eine Zeit lang gespielt werden.
Von "Sucht" mag Gocht aber eigentlich gar nicht sprechen. Er bevorzugt den Begriff pathologische Internetnutzung. "Der Begriff Sucht orientiert sich ursprünglich an bestimmten Substanzen wie dem Alkohol", sagt er. Bei der Online- und Computersucht handele es sich um exzessives Verhalten. Das entstehe dadurch, dass der Anwender bei Computerspielen, aber auch im Internet durch die ständigen Reaktionen auf sein Handeln bei der Stange gehalten werde. Dabei bewegen sich die Betroffenen in einem Teufelskreis: "Der Grund für den Rückzug in Spiele sind oft soziale Probleme. Die Kontaktschwierigkeiten lösen sich am Rechner jedoch nicht auf, sondern verschlimmern sich", sagt Papastefanou.
Von anderen Abhängigkeiten wie zum Beispiel der Alkoholsucht unterscheidet sich die Computersucht auch dadurch, dass eine selbst auferlegte Abstinenz nur schwer möglich ist. "Mit Computer und Internet kommen viele Menschen schon berufsbedingt in Kontakt", sagt Hünerfauth. Wie bei essgestörten Patienten, die ebenso wenig ganz auf das Essen verzichten könnten, sei es daher zur Behebung des Problems wichtig, dass der Computersüchtige sich zu disziplinieren lerne.
In einer Therapie werden Hünerfauth zufolge deshalb zunächst äußere Regularien geschaffen: "Zum Beispiel kann sich der Betroffene ein Zeitlimit für die Sitzung am Computer setzen, sich einen Wecker stellen und ein Protokoll führen." Das Ziel sei aber, dass sich der Patient "von innen heraus" wieder unter Kontrolle bekomme. Friedrich Gocht hält es für sinnvoller, die psychischen Probleme des Betroffenen anzugehen: "Vorschriften helfen da kaum weiter, man muss den Patienten direkt an seinem Leidensdruck anpacken."
Die Gefahren der Computersucht liegen vor allem in der Abkapselung von Freunden und Verwandten. "Das ist in der Jugend besonders schlimm, zu einer Zeit also, in der Menschen lernen, soziale Kontakte aufzubauen und sich in der Gesellschaft zu bewegen", sagt Hünerfauth. Der Austausch im Chatroom sei keine Alternative zum echten Gespräch mit anderen, sagt auch Papastefanou. Manche von der Sucht Betroffene entwickeln Hünerfauth zufolge regelrecht Angst davor, auf andere Menschen zu treffen.
Verwandte und Freunde könnten – wie bei anderen Suchterkrankungen auch – kaum eingreifen, sagt Hünerfauht. Wichtig sei jedoch, dass der Jugendliche eine Rückmeldung bekomme: "Man sollte ihm mitteilen, welche Auswirkungen sein Verhalten auf die eigenen Gefühle hat", rät der Psychologe. "Eltern sollten versuchen, den Kindern Anreize für andere Aktivitäten zum Beispiel im Sportverein zu schaffen", schlägt Papastefanou vor. Und nach Auffassung von Gocht ist es das Beste, die Betroffenen ohne Umschweife auf das Problem anzusprechen: "Von alleine kommen die sonst nie darauf, dass etwas nicht in Ordnung ist."
Hat der Betroffene das Problem erkannt, und ist er willig, sein Verhalten zu ändern, beginnt die Suche nach Hilfe. "Am besten ist es, einen Therapeuten in der unmittelbaren Umgebung aufzusuchen", empfiehlt Gocht. Dabei werde man allerdings kaum auf ausgemachte Computerexperten stoßen. "Die Forschung steht hier noch am Anfang", erklärt Papastefanou. Allerdings, so Gocht, sei eine Vorbildung des Therapeuten in Sachen Computer oder Internet auch nicht unbedingt nötig. (Sven Appel, gms) / (jk)