Homeoffice: Vom Privileg zum Ärgernis

Ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland arbeitet wegen Corona von zu Hause. Doch der überstürzte Wandel hat auch negative Folgen.

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Home-Office: Vom Privileg zum Ärgernis

(Bild: Pheelings media / Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Die Corona-Krise hat geschafft, was vorher kaum denkbar war: Millionen Beschäftigte arbeiten inzwischen von zu Hause aus. Doch die Schließung vieler Büros zeigt auch die negativen Effekte des Homeoffice: Mangelnde Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben, ausufernde Arbeitszeiten und eine verflachte Kommunikation.

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Der Zustand der Heimarbeit war auch Thema der Netzkonferenz re:publica am vergangenen Donnerstag in Berlin. Hier berichtete etwa der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Björn Böhning von der aktuellen Lage: "Nach unseren Daten arbeiten derzeit etwa 25 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice – was eine sehr, sehr hohe Zahl ist." Gleichwohl komme das Arbeiten von zu Hause weiterhin nur für eine Minderheit infrage. So finde für die Hälfte der Beschäftigten die Arbeit an den üblichen Arbeitsplätzen statt.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (WSI). Während vor der Krise gerade einmal 4 Prozent überwiegend von zu Hause gearbeitet hätten, sei dieser Wert im April auf 27 Prozent gestiegen, schilderte Aline Zucco vom WSI. Was vorher tendenziell als Privileg vor allem für Vorgesetzte und Hochqualifizierte war, ist in Kombination mit Krise und Schulschließungen jedoch für viele Beschäftigte eine Belastungsprobe.

Aus dem Mittel, das Angestellten mehr Eigenverantwortung und Spielraum zum Zeitmanagement gegeben hat, ist für viele das Gegenteil geworden. "Den meisten von uns bleibt gar nichts anderes übrig, als im Homeoffice zu arbeiten", stellte die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, klar. Die Folgen der Hauruck-Umstellung seien klar spürbar. So funktioniere die Kommunikation per Videokonferenz zwar hinreichend gut, wenn man bereits ein gutes Arbeitsverhältnis habe. Sei man aber ausschließlich auf die Fernkommunikation angewiesen, könne man keine so starken Beziehungen aufbauen, um beispielsweise gemeinsam neue Projekte zu starten.

Die Orientierungslosigkeit im Homeoffice macht sich auch bei den Arbeitszeiten bemerkbar. So müssten derzeit viele Beschäftigten bis am späten Abend erreichbar sein und auf E-Mails reagieren. Da viele Beschäftigte nun zu Hause auch mit der Kinderbetreuung beschäftigt sind, müssen sie ihre Arbeitszeiten um die Sorgearbeit arrangieren. An normale Produktivität ist dabei kaum noch zu denken. Auch hat die momentane Lage die sozialen Ungleichheiten weiter offengelegt: Überdurchschnittlich qualifizierte Arbeitskräfte kämen deutlich besser mit den Herausforderungen klar, weil sie auch mehr Mitspracherecht bei den Arbeitsbedingungen haben. In anderen Jobs sei jedoch nicht immer die Versorgung mit dem Notwendigsten sichergestellt. "Ich mache mir am meisten Sorgen um Kinder aus einkommensarmen Haushalten", erklärte Allmendinger auf der re:publica.

Dies zeigen auch die Zahlen des WSI. Bei der Befragung gaben 40 Prozent der Beschäftigten mit Kindern unter 14 Jahren im Haushalt an, dass die Arbeit im Homeoffice äußerst oder stark belastend ist. Bei den anderen Beschäftigten liegt der Wert mit 28 Prozent wesentlich geringer. In der Krise zeigt sich auch ein Geschlechter-Ungleichgewicht. Deutlich häufiger müssen Frauen neben ihrer Arbeit im Homeoffice auch die Versorgung der Familie hauptsächlich übernehmen.

Während die rein technischen Voraussetzungen für das Homeoffice wie VPN-Zugänge oder Video-Konferenz-Tools relativ schnell zu organisieren sind, ist die komplette Umstellung auf ein familientaugliches Homeoffice eine langfristige Aufgabe, die nicht nur im akuten Krisenfall gelöst werden kann. So funktionieren die Arbeitsabläufe besonders in Betrieben, die bereits Betriebsvereinbarungen zu mobilem Arbeiten, Homeoffice und selbständigen Arbeitszeiten und über Jahre Erfahrungen sammeln konnten, wie sie die Zusammenarbeit auch ohne Büropflicht organisieren können.

Auf der re:publica bekräftigte Böhning, dass sein Ministerium auch weiter ein gesetzliches Anrecht auf Homeoffice plane. Hierdurch will Arbeitsminister Hubertus Heil auch sicherstellen, dass Arbeitsschutzkriterien wie Arbeitspausen eingehalten werden. Böhning verwies aber auch darauf, dass nun insbesondere Beschäftigte Schutz bräuchten, die nicht durch die Strukturen eines Arbeitgebers geschützt werden. So wolle man den Solo-Selbständigen, die ihre Arbeit über Plattformen anbieten, mehr soziale Absicherung verschaffen, indem man die Plattformen etwa an der Alterssicherung beteilige. Denn gerade in der Krise verdrehe sich die Selbständigkeit schnell ins Gegenteil: So seien die Auftragnehmer oft von nur einem Auftraggeber oder einer Plattform abhängig und stünden im Krisenfall dann vor dem Nichts. (axk)