ICRA in der Coronavirus-Krise: Robotik im Cyberspace

Seite 2: Die Bedeutung von Videokonferenzen

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Die Kaffeepausen bieten Gelegenheiten für informelle Begegnungen, wie hier mit einem Telepräsenzroboter während der HRI 2018 in Chicago.

(Bild: heise online/Hans-Arthur Marsiske)

heise online: Wie kommen Sie aktuell mit diesen Zeitdifferenzen zurecht? Bei der Terminvereinbarung für dieses Interview haben Sie durchblicken lassen, dass Sie physisch zwar in Deutschland sind, mental aber auf der anderen Seite des Antlantiks.

Burgard: Ich arbeite derzeit nach Ostküstenzeit, also von 15 bis 24 Uhr europäischer Zeit. Das TRI hat ja auch ein Büro in Boston.

heise online: Das läuft sicherlich zum großen Teil über Telekonferenzen. Haben Ihnen diese Erfahrungen bei der Organisation der ICRA geholfen? Oder liegen die Größenordnungen dafür zu weit auseinander?

Burgard: Man lernt dabei schon Einiges. Allein schon, was es bedeutet, den Gesprächspartner sehen zu können. Ohne diese Möglichkeit sind Telekonferenzen extrem anstrengend. Deswegen haben wir den Konferenzteilnehmern auch empfohlen, bei den Videoaufzeichnungen ihrer Vorträge auch ein Porträt von sich selbst einzufügen. Fast in letzter Sekunde haben wir uns jetzt auch entschlossen, ein Panel einzurichten zum Thema "Covid-19 – How can Robotics help?“. Es wird organisiert von Autoren eines Artikels, der dazu kürzlich in "Science Robotics“ erschienen ist. Die Podiumsdiskussion wird jetzt, im Vorfeld der Konferenz, aufgezeichnet und während der ersten Konferenztage online gestellt mit der Möglichkeit, Fragen zu stellen und Kommentare abzugeben.

heise online: Telepräsenz ist ja ein klassisches Robotikthema. Unter den 1600 Beiträgen zur diesjährigen ICRA habe ich aber nur einen gefunden, der der aktuellen Problematik nahe kommt. Es ist das Paper MoA19.2 von Naomi T. Fitter et. al.: Are We There Yet? Comparing Remote Learning Technologies in the University Classroom. Bei der HRI war die Ausbeute ähnlich mager. Roboter sind offenbar noch weit davon entfernt, bei Robotikkonferenzen selbst eine wirkliche Hilfe zu sein.

Burgard: Ich habe ja einen Telepräsenzroboter bei mir im Labor, den Beam. Aber für eine Konferenz wie die ICRA bräuchten wir vielleicht 2000 davon. Die müssen nicht nur zum Konferenzort transportiert und dort bedient und gewartet werden. Sie müssen auch wissen, was Sie hinterher damit anstellen wollen. Das gleiche Problem stellt sich bei Poster Sessions, die mit Bildschirmen statt mit ausgedruckten Postern durchgeführt werden. Die Miete für diese Bildschirme ist sehr teuer, Kaufen wäre günstiger. Aber wo lassen Sie die Dinger nach der Konferenz? Sie können sie auch nicht einfach an teilnehmende Studenten verschenken, weil die dann das Problem des Transports lösen müssten.

heise online: Gab es bei der Vorbereitung der Konferenz so etwas wie eine Hierarchie von Kriterien, die erfüllt werden sollten, eine Ordnung, was unbedingt gewährleistet werden sollte und was notfalls verzichtbar wäre?

Burgard: Mir war das Wichtigste tatsächlich das wissenschaftliche Programm, also die Paper selbst sowie die Präsentationen, die in kurzer Zeit deren wesentlichen Inhalt vermitteln. Gleich danach folgt die Möglichkeit der Interaktion und Diskussion. Dabei halte ich es für nicht ausgeschlossen, dass die virtuelle Konferenz dafür womöglich effektivere Möglichkeiten bietet. Zu Posterpräsentationen ist es ja häufig so, dass sich bei prominenten Autoren so viele Leute versammeln, dass kaum jemand eine Chance hat, eine Frage zu stellen oder auch nur der Diskussion zu folgen. Das könnte jetzt über Messenger-Dienste besser laufen. Als schwieriger hat sich dagegen die Einbindung der Industrie erwiesen. Es gibt bei der ICRA sonst immer einen Ausstellungsbereich, in dem sich Sponsoren und andere Unternehmen präsentieren können. In der Kürze der Zeit haben wir aber keine Lösung gefunden, um das virtuell umzusetzen.

heise online: In der vorigen ICRA gab es zum ersten Mal auch mehrere künstlerische Installationen und etliche Forscher hatten Roboter mitgebracht und ließen sie nach dem Vortrag herumlaufen. So etwas fehlt natürlich in einer virtuellen Konferenz. Aber Sie haben ja gerade angedeutet, dass die Virtualisierung durchaus auch Vorteile bringen kann. Mögen Sie ein wenig darüber spekulieren, wie die Corona-Krise wissenschaftliche Konferenzen vielleicht dauerhaft verändern könnte?

Burgard: Es gibt natürlich Stimmen, die mehr Nachhaltigkeit fordern und danach fragen, ob nicht ein großer Teil der Konferenzen virtuell durchgeführt werden kann. Würde es nicht reichen, sich vielleicht einmal im Jahr in Person zu treffen, statt ständig hin und her zu fliegen? Das ist schon ein gewichtiges Argument. Andererseits befreit das Reisen natürlich von den Alltagsterminen, die Zuhause für größere Ablenkung sorgen, und ermöglicht ein konzentrierteres Arbeiten.

heise online: Führt diese erzwungene Erfahrung mit einer virtuellen Konferenz vielleicht auch zu neuen Fragestellungen? Vielleicht ist zum Beispiel bei Telepräsenzrobotern die Bedeutung des menschlichen Körpers und der Bewegung bisher unterschätzt worden: Der Umstand, dass sich nur noch der Roboter bewegt, während sein Bediener ruhig im Sessel sitzt und nur Maus oder Joystick bedient, dürfte ja zu einem völlig anderen Konferenzerlebnis führen. Ich muss bei so einer Veranstaltung immer wieder mal aufstehen und herumlaufen können. Die Vorstellung, stundenlang nur auf den Monitor meines Laptops zu schauen, finde ich erschreckend.

Burgard: Aus diesem Grund ist es ja so wichtig, die Konferenz zeitlich zu entzerren. Natürlich kann man niemanden zumuten, acht Stunden lang auf den Rechner zu starren, das geht höchstens mal für ein oder zwei Stunden. Aber dadurch, dass mehr Zeit zur Verfügung steht, kann man jetzt vielleicht zunächst das Paper lesen und dann gezielter nachfragen. Außerdem gibt es keine parallel ablaufenden Sitzungen mehr, die einen häufig daran hindern, Vorträge zu besuchen, die einen eigentlich interessiert hätten. Mit überfüllten Räumen, in denen der Sauerstoff knapp wird, haben wir ebenfalls nicht zu kämpfen.

heise online: Ein weiterer Vorteil sind die Kosten. Die ICRA ist für die Teilnehmer extrem preiswert geworden.

Burgard: Wir hatten sogar überlegt, sie ganz frei und kostenlos durchzuführen. Das hätte aber das Risiko erhöht, Opfer von Spam-Attacken zu werden. Daher gibt es jetzt eine relativ geringe Registrierungsgebühr.

(bme)