"Impfstoff-Völkermord": Immer mehr Impf-Desinformation auf Facebook
Laut einer Analyse kursieren seit der zweiten Corona-Welle deutlich mehr schädliche Falschinfos über Impfstoffe in Facebook-Beiträgen in vielen EU-Sprachen.
Angesichts der in der ganzen EU zurĂĽckgehenden Impfbereitschaft haben sich Experten des Beratungshauses CounterAction auf die Suche nach GrĂĽnden dafĂĽr in sozialen Netzwerken gemacht, in denen Meinungen oft mitgeformt werden. Dabei sind sie unter anderem auf Facebook fĂĽndig geworden.
"Das Volumen der öffentlichen Facebook-Postings, die potenziell schädliche Desinformationen über Impfstoffe enthalten", sei seit September in allen untersuchten EU-Sprachen rapide angestiegen, erklärte Felix Kartte von CounterAction gegenüber dem Newsletter-Dienst "Playbook" des Magazins "Politico". Die Zahlen seien vor allem nach oben gegangen, seit ein erster vielversprechender Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus angekündigt worden sei.
Verschwörungsglaube
Das Unternehmen hat laut dem Berater Tausende von offenen Gruppen und Seiten auf Facebook nach Inhalten durchsucht, die mit Impfstoffen zu tun haben. In Deutschland fanden die Beobachter laut dem Bericht mehr als 30.000 Postings mit Falschinformationen zu diesem Thema. So verglichen Nutzer etwa Impfungen mit dem Holocaust, die Rede war von einem "Vakzine-Völkermord". Dazu kamen antisemitische Inhalte über eine angebliche zionistische Verschwörung.
Die Analysten stießen in deutschsprachigen Beiträgen zudem vielfach auf falsche Gesundheitsinformationen. Dazu gehört etwa die Behauptung, dass Impfstoffe Krebs verursachten.
Zwei Millionen Deutsche gehören der Studie zufolge solchen Gruppen an. In Frankreich gebe es Zirkel auf Facebook, in denen für Zink oder Vitamin D als wirksame Medikamente gegen Covid-19 geworben werde, ist dem Bericht zu entnehmen. Teils werde das Gerücht verbreitet, es würden Vakzine entwickelt, um "Schwarze aussterben zu lassen". Solche Gruppen hätten 200.000 oder mehr Mitglieder. Mitglieder kommunizierten zudem häufig mit Foren etwa in afrikanischen Ländern, die nicht gut auf die frühere Kolonialmacht Frankreich zu sprechen seien.
Ă„hnliche Muster
Die entdeckten Desinformationsnarrative sind über nationale und sprachliche Grenzen hinweg ziemlich ähnlich. Schon die automatische Übersetzungsfunktion von Facebook "macht es einfach, Inhalte in verschiedenen Sprachen zu teilen", heißt es in der Untersuchung. In mehreren tschechischen Gruppen sei "die gemeinsame Nutzung betrügerischer Beiträge in mehreren Fremdsprachen", darunter Französisch, Deutsch und Italienisch, zu beobachten gewesen.
Die Kreml-nahen Online-Dienste Russia Today (RT) und Sputnik gehörten zu den Medien, die in allen europäischen Anti-Impf-Gruppen am häufigsten geteilt würden. "Viele dieser Beiträge sind seit März auf Facebook zu sehen, obwohl sie unglaublich leicht zu finden sind", erklärte Kartte, der zuvor beim Europäischen Auswärtigen Dienst tätig war. Die meisten Inhalte seien zwar nicht illegal. Der Netzwerkbetreiber verursache aber "massiven Schaden" vor allem für Risikogruppen, wenn er solche Beiträge frei kursieren lasse und ihre Verbreitung teils algorithmisch verstärke.
Löchrige Kontrolle
Facebook hat sich gegenüber der EU-Kommission freiwillig auf einen Selbstregulierungskodex im Kampf gegen Desinformation verpflichtet. Der Zusammenschluss auch mit anderen Plattformen wie Google und Twitter gilt bei der Brüsseler Regierungsinstitution als letzte Chance, um gesetzgeberische Schritte zu mehr Transparenz rund um Algorithmen und Ansätze zur Moderation von Inhalten zu vermeiden.
Facebooks Leiterin des Lobbyteams für die EU-Beziehungen, Aura Salla, beteuerte gegenüber "Playbook", dass "wir energische Schritte unternommen haben, um die Verbreitung von Fehlinformationen über das Virus einzudämmen". Beiträge, "die zu unmittelbar bevorstehenden körperlichen Schäden führen könnten würden gelöscht. Dazu zählten etwa falsche Hinweise auf Präventionsmaßnahmen oder Behauptungen, dass es Sars-Cov-2 nicht gebe.
Zwischen März und Oktober hat das Unternehmen laut Salla über 12 Millionen Postings auf Facebook und Instagram gelöscht. Bei anderen problematischen Inhalten wie "Verschwörungstheorien über den Ursprung des Virus" arbeite man mit mehr als 80 Partnern für die Faktenprüfung zusammen". In diesem Rahmen seien 167 Millionen Inhalte mit Warnhinweisen versehen worden.
Fehlende Umsetzung
Dass die Selbstregulierung nicht immer gut und rasch funktioniert, zeigt auch der Streit über Holocaust-Leugner auf Facebook. Mitte Oktober kündigte Konzernchef Mark Zuckerberg nach vielen Jahren hier einen Kurswechsel an hin zum Löschen solcher Beiträge. Doch zumindest bis Mitte November waren laut dem Magazin "The Markup" weiterhin zahlreiche Facebook-Seiten für bekannte Holocaust-Leugnergruppen aktiv. Nutzern, die darauf stoßen, sollen die Algorithmen der Plattform weiterhin ähnliche Inhalte anzeigen und so ein Netzwerk zur Verbreitung antisemitischer Inhalte schaffen. Zuckerberg hatte zuvor zu bedenken gegeben, dass erst die internen Richtlinien aktualisiert und die Programmroutinen neu trainiert werden müssten.
(kbe)