Impfstoffproduktion: Streit um Aussetzen von Patenten und "Zwangslizenzen"
Bei Anhörungen in Brüssel und Berlin forderten Experten die freie Nachproduktion, während Hersteller vor den Folgen einer Preisgabe von Patenten warnten.

(Bild: FabrikaSimf/Shutterstock.com)
Sollten Regierungen in Europa warten, ob die Hersteller von Impfstoffen gegen Covid-19 ihre Lieferzusagen erfĂĽllen, und wĂĽrden die bisherigen Zusagen ĂĽberhaupt ausreichen, um die Pandemie in Europa und global zu besiegen? Um diese Frage drehte sich in der vergangenen Woche eine Debatte im Plenum und im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags, und am 25. Februar nahm sich das Europaparlament die Manager der Pharmaunternehmen zur Brust.
Anhörung vor dem Europaparlament
In der vom Gesundheits- und Forschungsausschuss des Parlaments veranstalteten Anhörung sicherten Manager von AstraZeneca, Moderna, CureVac, Novavax, Pfizer und Johnson & Johnson den Europäern im Laufe des Jahres geplante Produktionssteigerungen zu. Angela Hwang, Group President von Pfizer Biopharmaceuticals, versprach die Produktion von 100 Millionen Impfdosen pro Tag allein am belgischen Produktionsstandort Puurs. Der Tübinger Hersteller CureVac, der kurz vor Abschluss der letzten klinischen Testreihe steht, plant offenbar, dieses Jahr 300.000 und im kommenden Jahr zwei Milliarden Dosen zu liefern. Moderna hat die Produktion von 1,4 Milliarden Impfdosen bis 2022 zugesichert.
AstraZeneca, das bereits für 2021 drei Milliarden Dosen angekündigt hatte, musste sich von den Parlamentariern harsche Fragen zu nicht eingehaltenen Lieferzusagen gefallen lassen. Eine klare Antwort darauf, ob AstraZeneca die EU-Kommission über frühere Zusagen gegenüber der britischen Regierung hinters Licht geführt habe, war aus Pascal Soriot, dem CEO des britisch-schwedischen Pharmaunternehmens, nicht herauszubekommen. Die Universität Oxford, mit der Konzern den Impfstoff gemeinsam entwickelt hatte, sei im Vorfeld gegenüber der britischen Regierung Verpflichtungen eingegangen, räumte Soriot ein. Allerdings beeilte er sich zu versichern, dass AstraZeneca im zweiten Quartal 2021 seine Lieferzusagen gegenüber der Europäischen Gemeinschaft einhalten werde.
Technologietransfers sind komplex
Die Frage, inwieweit die Aussetzung von Patentansprüchen und der zugleich notwendige Transfer des Produktions-Know-hows die Versorgung Europas, aber auch anderer Länder mit dem dringend benötigten Impfstoff beschleunigen könnte, verneinten die Vertreter der Pharmaunternehmen. Im Detail gab es bei der Antwort Unterschiede: Zum aktuellen Zeitpunkt seien mehr Technologietransfers für die Firmen kaum machbar, versicherte der Moderna-Chef Stéphane Bancel unisono mit Franz-Werner Haas, dem CEO des Tübinger Herstellers CureVac. Beide gaben an, dass die Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern in Europa bereits auf Hochtouren liefe.
Man habe schlicht nicht mehr Ingenieure, die man für Trainings an weiteren Standorten entbehren könne, versicherten Haas und Bancel. Diese Technologietransfers seien nicht einfach, betonte Haas, und Bancel zufolge arbeite man "Tag und Nacht". Der CEO von Moderna berichtete von Rückschlägen in der Produktion, etwa wenn eine einzelne Pumpe ausfalle. Die müsse dann nicht nur neu eingebaut, sondern auch wieder neu zugelassen werden. Weitere Initiativen für die Weitergabe von technologischem Know-how an andere Länder seien vielleicht später möglich, so Bancel. Hwang von Pfizer lehnte den Vorschlag, Patente auszusetzen oder sie vorübergehend in einem gemeinsamen Pool zugänglich zu machen, rundweg ab.
"Zwangslizenzen nicht zielfĂĽhrend"
Angesichts der laufend angekündigten neuen Kooperationsverträge und ausgeweiteten Lieferkapazitäten bestehe "schlicht kein Bedarf für Zwangslizenzen", unterstrich Dr. Siegfried Throm, Vorsitzender des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) am 24. Februar in der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestags. Ohne Patentschutz gebe es keine Pharmaindustrie samt Forschung, lautet das Mantra des Verbands. "Zwangslizenzen" oder auch nur das zeitweilige Überlassen von Patenten an einen Pool der Weltgesundheitsorganisation (WHO) würde das Durchhaltevermögen von Gründern wie bei BionTech oder CureVac bestrafen. Um die einzelnen Impfstoffe und ihre Plattformtechnologien wie mRNA spannt sich ein "Patentdickicht", das dem Verband Bio zufolge "Zwangslizenzen wenig vielversprechend" mache.
(Bild: Global Health Centre (GHC))
Zweckbindung staatlicher Mittel gefordert
Zwei Reagenzgläser, ein Bunsenbrenner auf dem Tisch und das Patent an der Wand reichten eben nicht für die Aufnahme der komplexen Impfstoffproduktion, äußert Georg Kippels, CDU-Mitglied im Unterausschuss Globale Gesundheit, in der Plenardebatte im Bundestag am vergangenen Donnerstag. Mehrere Fraktionen hatten Anträge eingebracht zur Sicherung der globalen Gesundheit in Pandemiezeiten auch mit Blick auf künftige Pandemien.
FĂĽr GrĂĽne und Linke dĂĽrften dabei auch die zwangsweise Aussetzung von Lizenzen, vor allem aber eine klare Zweckbindung kĂĽnftiger staatlicher Mittel kein Tabu sein. Auf die vom Bundesminister fĂĽr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd MĂĽller empfohlene Freiwilligkeit dĂĽrfe man sich nicht mehr verlassen, warnten Achim Kessler (Die Linke), Ottmar von Holtz (GrĂĽne) und die SPD-Abgeordnete Heike Baehrens. Es reiche nicht mehr aus, nur auf den guten Willen der Industrie zu setzen, so Baehrens.
Zusammenbrechende Gesundheitssysteme
Nach Ansicht von Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder Medico International bleibt trotz aller Versprechen der Industrie die Tatsache, dass der Impfstoff knapp sei – nicht nur in europäischen Ländern, noch kanpper in Entwicklungsländern. Andreas Wulf von Medico Deutschland warnte in der Anhörung im Gesundheitsausschuss vor enormen wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie in den ärmsten Ländern, die nach der Logik Arzneimittelherstellerverbands vfa nur einfach etwas länger warten müssten. Die Folgen fehlender Impfkampagnen seien jedoch Nahrungsmittelknappheit und der Zusammenbruch von Gesundheitssystemen.
Dass Impfstofffirmen auf Anfrage angeblich bislang stets zu Lizenzvereinbarungen bereit gewesen wären, sei durchaus fraglich, wie der Berliner Jurist Dr. Axel Metzger, Professor an der Humboldt-Universität, bei der Anhörung zu bedenken gab. So sei es der kanadischen Regierung zunächst nicht gelungen, frühzeitig eine von einem der Hersteller ermöglichte Lizenzproduktion im eigenen Land aufzubauen.
"Produktion vor Ort wirtschaftlich unrentabel"
Inzwischen habe Kanada laut Aussagen kanadischer Vertreter der Welthandelsorganisation WTO den Hersteller Novavax für eine Lizenzproduktion gewinnen können. Doch das Mittel stecke noch in der Zulassungsphase und die Weigerung anderer Unternehmen koste Kanada in der Pandemiebekämpfung mehrere Monate. Geistiges Eigentum sei nicht das Problem gewesen, versicherten die kanadischen WTO-Vertreter, sondern dass die anderen Pharmaunternehmen die Kosten in Kanada als zu hoch und die Produktion vor Ort als wirtschaftlich unrentabel betrachtet hätten.
(sih)