GI sieht "Gefahr, dass Deutschland zu einer digitalen Kolonie wird"
Fazit der Gesellschaft für Informatik zu drei Jahren Ampel-Digitalpolitik: Einen "Wumms" habe es nur "für digitale Abhängigkeit und Erpressbarkeit" gegeben.
Drei Arbeitskreise der Gesellschaft für Informatik (GI) haben eine ernüchternde Bilanz zur Digitalpolitik der scheidenden Bundesregierung gezogen. Resümee der für unter anderem für freie Software und Datenschutz zuständigen Experten: Die Ampel habe ihre selbst gesteckten Ziele für digitale Souveränität und Open Source deutlich verfehlt. Stattdessen habe die Abhängigkeit von digitalen Monopolen massiv zugenommen. Damit habe es einen "Wumms" für wirtschaftliche und geopolitische Erpressbarkeit bei gleichzeitigem Verlust der Glaubwürdigkeit gegeben. Die Informatiker warnen: "Die Gefahr, dass Deutschland zu einer digitalen Kolonie wird, nimmt immer realistischere Züge an."
In ihrer Koalitionsvereinbarung betonten die einstigen Regierungsfraktionen die Bedeutung von offenen Standards, offenen Schnittstellen sowie von Open Source für die digitale Souveränität ausdrücklich. Die Ergebnisse sehen laut der GI-Abrechnung anders aus: Ende 2023 habe die Exekutive sogar einräumen müssen, dass der Open Source-Anteil bei den Ausgaben des Bundes für Software-Entwicklung und Dienstleistungen seit Beginn der Legislaturperiode nur etwa 0,5 Prozent betragen habe. Andererseits seien "milliardenschwere Verträge mit digitalen Monopolisten abgeschlossen" worden.
"Digitaler Hahn" könnte leicht abgedreht werden
Durch die damit verbundenen Lock-in-Effekte entstünden unkalkulierbare Kosten für die Haushalte der nächsten Jahre, heißt es. Ein besonders negatives Beispiel sei die Auftragsvergabe an den Datenbankmonopolisten Oracle in Höhe von 4,6 Milliarden Euro – sogar ohne vorherigen Aufruf im EU-Amtsblatt.
Als 2022 Gaslieferungen aus Russland aufgrund dessen Angriffskriegs auf die Ukraine eingestellt worden seien, gab es dem Papier zufolge "Sofortlösungen durch vorhandene Reserven, Sparmaßnahmen, alternative Energien und Lieferanten". Sollte der "digitale Hahn" abgedreht werden, gäbe es indes keinen solchen Plan B. Wie Monopolstellungen wirtschaftlich ausgenutzt würden, zeigten die aktuellen Preiserhöhungen der marktbeherrschenden Virtualisierungssoftware VMware durch den US-Technologieriesen Broadcom. Die permanente Preistreiberei von Microsoft belaste zudem zunehmend Unternehmen und Verwaltung. Selbst in Kliniken herrsche deswegen Aufruhr. Die Lizenzkosten des Bundes für Produkte des US-Konzerns blieben auf hohem Niveau.
OpenDesk statt Microsoft
"Die digitalen Monopole dehnen ihre Marktmacht rasant auf weitere Wirtschaftssektoren" wie Medien, Banken, Bezahldienste, Logistik, Gesundheitswesen und Bildung aus, schlägt die GI Alarm. Dringend nötig sei daher endlich eine echte digitalpolitische Zeitenwende. Die künftige Bundesregierung müsse den Menschen in den Mittelpunkt stellen, Handlungs- und Informationsfreiheit sowie Wettbewerb, Wahlmöglichkeiten, Wohlstand und Demokratie sichern und einen Überwachungs- und Datenkapitalismus verhindern. Entwicklungen wie die Microsoft-365-Alternative OpenDesk veranschaulichten eindrucksvoll, mit welch vergleichsweise geringem Mitteleinsatz digitale Souveränität erreicht und Milliarden an Steuergeldern eingespart werden könnten.
Open-Source-Befürworter zeigten sich schon nach 100 Tagen Ampel erstmals schwer enttäuscht von dem Dreierbündnis. Auch Branchenverbände wie der Bitkom oder eco stellten der zerbrochenen Koalition digitalpolitisch kein gutes Zeugnis aus.
(nen)