Infrastrukturabgabe: Bund bremst bei Kostenbeteiligung für Big Tech​

Die EU-Kommission plant, Netflix, Meta und Co. an den Netzkosten zu beteiligen. Deutschland und andere EU-Mitglieder wollen das lieber nicht überstürzen.

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Kommisions-Vizepräsidentin Margrete Vestager und Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton treiben die Infrastrukturabgabe auf EU-Ebene voran.

(Bild: EU-Kommission/Xavier Lejeune)

Lesezeit: 6 Min.
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Im Streit um die Beteiligung der US-Internetriesen an den Kosten für Netzinfrastrukturen in der EU kritisieren mehrere Mitgliedsstaaten das hastige Vorgehen der EU-Kommission. Sieben Regierungen mahnen Brüssel in einem gemeinsamen Schreiben zur Vorsicht. Die Pläne für eine Infrastrukturabgabe für "Big Tech"-Unternehmen sollten offen und transparent diskutiert werden, schreiben die Länder, zu denen auch Deutschland gehört.

Die EU-Kommission hatte im Januar eine "Europäische Erklärung zu den digitalen Rechten und Grundsätzen für die digitale Dekade" vorgestellt, in der sie die "faire und angemessene Beteiligung" sämtlicher Marktteilnehmer an den Infrastrukturkosten für Netze fordert. Im Mai bekräftigte Kommissions-Vize Margrete Vestager das Vorhaben und der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Thierry Breton stellte einen Gesetzesvorschlag in Aussicht.

Deutschland und sechs weitere EU-Länder betonen nun, dass der Netzausbau und die Beziehungen zwischen Netzbetreibern und Plattformen "komplexe Sachverhalte" sind. "Politikwechsel, die die Beziehungen zwischen Betreibern von Telekommunikationsnetzen und Plattformanbietern betreffen, müssen sorgfältig unter allen Aspekten geprüft und mit Beteiligung der relevanten Interessenvertreter erörtert werden", heißt es in dem Schreiben, das heise online vorliegt.

Die sieben Regierungen fordern, dass die Kommission eine "offene und transparente Debatte" über das Vorhaben führen sollte, bevor sie einen offiziellen Vorschlag macht. Zudem sollte Brüssel das Ergebnis einer laufenden Analyse des europäischen Regulierungsgremiums (Gerek) abwarten und eine öffentliche Konsultation durchführen. Neben Deutschland haben Dänemark, Estland, Finnland, Irland, die Niederlande und Schweden das Papier unterzeichnet, über das Bloomberg zuerst berichtet hatte.

Deutschland setze sich "gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten gegenüber der EU-Kommission für einen transparenten Prozess und eine frühzeitige Einbindung der Mitgliedstaaten in der Debatte ein", sagte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) gegenüber heise online. Die Bundesregierung hatte sich in der Debatte bisher zurückgehalten und ein "allgemeines Bekenntnis zu fairen Rahmenbedingungen" unterstützt, wollte das aber nicht als Zustimmung zu einer Infrastrukturabgabe verstanden wissen.

"Solche Forderungen müssen genau geprüft werden, auch mit Blick auf die Folgen einer Umsetzung", sagte die BMDV-Sprecherin. Dabei müsse unter anderem geklärt werden, ob die Netzneutralität berührt werde. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass Nutzung der großen Plattformen auch die Nachfrage nach schnelleren und teureren Internetzugängen anrege. Die Bundesregierung habe der Kommission den "vertieften Prüfbedarf" deutlich gemacht. "Die EU-Kommission wird sich diesen Fragen nun widmen."

Unterdessen haben die europäischen Netzbetreiber nachgelegt. Ungeachtet des jüngsten Rückschlags bei der Abstimmung der europäischen Digitalagenda zwischen EU-Kommission, Parlament und den Mitgliedsstaaten fordern mehrere europäische Verbände erneut eine "schnelle Intervention" der Politik, damit Unternehmen wie Amazon, Meta oder Netflix "ihren fairen Anteil zum Ausbau des Internet-Ökosystems in der EU" leisten.

Sechs Branchenverbände aus Bulgarien, Frankreich, Italien, Rumänien, Spanien, Tschechien sowie die europäischen Organisationen ETNO und GSMA betonen ihre Unterstützung für die "ambitionierten" EU-Pläne, Gigabit-Internet und 5G bis 2030 in der gesamten Union verfügbar zu machen. Dies sei aber nur zu erreichen, wenn "die Verantwortung vom gesamten digitalen Ökosystem gemeinsam getragen" werde, heißt es in einer Mitteilung der Verbände vom Montag.

Neu ist die Debatte nicht: Seit Jahren fordern die Telcos, dass Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auf Netzinfrastruktur angewiesen sind, für diese auch zur Kasse gebeten werden sollen. Zu diesen "Over the Top"-Anbietern (OTT) zählen Videoplattformen wie Netflix oder Youtube, Cloud-Dienstleister wie Amazon und Microsoft oder auch Social-Media-Riesen wie Meta.

Bisher traten vor allem die großen, international verzweigten Netzbetreiber mit der Forderung auf: Unternehmen wie Deutsche Telekom, Telefónica, Orange und Vodafone. Auch im ETNO, dem europäischen Netzbetreiberverband, sind überwiegend Großkonzerne und ehemalige Staats-Telcos repräsentiert. Wie selbstverständlich erheben sie Anspruch auf das Geld, das US-Riesen wie Meta und Konsorten bitte für die Netznutzung überweisen sollen.

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Bei der Politik – inklusive früherer EU-Kommissionen – sind sie damit bisher abgeblitzt. Doch hat sich der Wind zugunsten der Telcos gedreht. Mit dem Bemühen um mehr digitale Unabhängigkeit von den US-Riesen zeigt sich Brüssel neuerdings offen für eine "Infrastrukturabgabe" von Big Tech. EU-Kommission und die Regierungen der Mitgliedsstaaten wollten die Infrastrukturabgabe zuletzt in ihrem Programm "Weg in die Digitale Dekade" festschreiben, was aber am Widerstand aus dem EU-Parlament scheiterte.

Zahlreiche EU-Abgeordnete und zivilgesellschaftliche Organisationen hatten zuvor eindringlich gewarnt, dass eine Infrastrukturabgabe für die US-Internetriesen das Prinzip der Netzneutralität unterlaufen werde. Damit würden "wichtige Garantien der Netzneutralität" abgeschafft, mahnte eine Gruppe von Abgeordneten in einem offenen Brief an die Kommission.

Die kleineren Netzbetreiber haben sich mit Forderungen nach einer Infrastrukturabgabe bisher eher zurückgehalten. Sie haben das Fass nicht aufgemacht, können die Debatte aber auch nicht den großen Telcos überlassen. Der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) und der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), unterstützen den Vorstoß grundsätzlich, fordern aber eine offene Diskussion und die Beachtung der Netzneutralität.

"Es ist ein berechtigtes Interesse von Wirtschaft und Staat, dass ein Regulierungsrahmen geschaffen wird, der einen fairen und angemessenen Beitrag aller Akteure sicherstellt", sagt VATM-Geschäftsführer Frederic Ufer. "Die von 54 Abgeordneten des EU-Parlaments vorgetragenen Bedenken gegenüber dem Vorgehen der EU-Kommission müssen ernst genommen werden." Eine wie auch immer aussehende Lösung müsse mit den Prinzipien der Netzneutralität in Einklang stehen.

Wie der VATM weist auch der Breko auf die Gefahr einer Schieflage im Markt hin. "Wettbewerbsverzerrungen müssen verhindert werden", sagte ein Breko-Sprecher. Dafür müsste nach einer öffentlichen Konsultation ein transparentes Verfahren entwickelt werden, wie die Einnahmen aus einer Infrastrukturabgabe unter allen Glasfaser-Netzbetreibern aufgeteilt werden soll. Die sollten auch nur zweckgebunden an Carrier ausgeschüttet werden, die sie wieder in den Glasfaser-Ausbau investieren.

(vbr)