Innovation: MP3-Erfinder warnen vor Reform standardessenzieller Patente

15 Mitentwickler globaler Standards wie MP3, DVB und 5G machen gegen die geplante EU-Verordnung zur Patentnovelle mobil. Ein EU-Abgeordneter fordert eine Pause.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 40 Kommentare lesen

(Bild: Feng Yu/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Neuer Gegenwind für den Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur Vermeidung massiver Streitigkeiten über standardessenzielle Patente (SEP): 15 Mitentwickler globaler Standards in den Bereichen Audio- und Videocodierung (MP3 und VVC), Digitalradio, WLAN, Mobilfunk und DVB haben einen Brandbrief an das EU-Parlament und den Ministerrat geschickt, in dem sie sich "ernsthaft beunruhigt" über das Vorhaben zeigen. "Wir sind davon überzeugt, dass dieser Vorschlag den Technologiestandort Europa und seine Innovationskraft schwächt und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union beeinträchtigt wird", heißt es in dem heise online vorliegenden Schreiben. Auch die digitale Transformation könne darunter leiden.

SEP spielen beispielsweise für Mobilfunktechnologien, Datenformate wie JPEG sowie die Interoperabilität von Audio- und Videoanwendungen eine wichtige Rolle. Die Kommission will mit ihrer Initiative Probleme beheben, die oft bei der Lizenzierung solcher elementarer gewerblicher Rechtsansprüche etwa rund um vernetzte Autos auftreten und zu regelrechten Patentkriegen geführt haben. So soll etwa ein SEP-Register eingerichtet werden. Bei darin eingetragenen Schlüsselpatenten würde überprüft, ob sie wirklich entscheidend für einen Standard sind. Ferner will die Kommission feste Gebührensätze und einen Streitbeilegungsmechanismus einführen.

Die Initiative spiegelt laut den Wissenschaftlern und Ingenieuren "in keiner Weise wider, wie das Ökosystem internationaler Standards überhaupt funktioniert". Darin gebe es "gut etablierte, weltweit gültige Regeln und Mechanismen". Diese würden mit dem Gesetzesentwurf zwar übernommen, "aber um willkürliche Fristen, teure und langwierige Compliance-Vorgaben sowie Sanktionsmaßnahmen für Inhaber europäischer SEPs ergänzt". Es sei etwa nicht sinnvoll, "eine völlig neue Verwaltungsbehörde auf europäischer Ebene einzuführen". Zudem müsse sichergestellt werden, dass Rechteinhaber "eine angemessene und faire Vergütung bekommen", wenn ihr "geistiges Eigentum im Standard eingesetzt wird". Zu den Unterzeichnern gehören aus dem Team der MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg, Jürgen Herre, Bernd Edler und Bernhard Grill, der aktuell das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) leitet.

Parallel wirbt der konservative EU-Abgeordnete Geoffroy Didier in einem Brief an seine Kollegen von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) für eine Pause bei der Arbeit an der Verordnung beziehungsweise für ein weiteres Vorgehen "mit extremer Vorsicht". In ihrer gegenwärtigen Form wäre die Verordnung ein "strategischer Fehler". Sie würde Forschung und Entwicklung in Europa auf Jahre hinaus untergraben, die Beteiligung an europäischen Normungsgremien einschränken – und damit die Führungsrolle Europas in der Mobilfunktechnologie beeinträchtigen. Nutznießer wären ausländische Wettbewerber. Der Franzose erinnert zudem daran, dass der Vorsitzende Richter des neuen Einheitlichen Patentgerichts, Klaus Grabinski, den Entwurf als unvereinbar mit der EU-Grundrechtecharta bezeichnet habe.

Massives Lobbying gegen das Vorhaben betreibt die Mobilfunkindustrie mit Ericsson und Nokia an der Spitze. Sie beklagt, mit der Verordnung gehe faktisch eine Preisfestsetzung für entscheidende Immaterialgüterrechte einher. Ein solcher Ansatz schaffe Rechtsunsicherheit und könnte Erfinder daran hindern, eine angemessene Rendite für ihre Investitionen zu erzielen. Auch der Präsident des Europäischen Patentamts, António Campinos, brachte jüngst Bedenken vor. EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich haben laut einem heise online vorliegenden Papier zudem auf 15 Seiten Fragen zu dem Entwurf etwa rund um den Zugang zum Recht und Folgenabschätzungen aufgelistet. Die Kommission hat diese bislang nicht beantwortet. Der Fair Standards Alliance, die unter anderem Konzerne aus der Autoindustrie sowie Amazon, Apple und Google vertritt, geht der Vorschlag der Brüsseler Regierungsinstitution dagegen nicht weit genug. Der Zusammenschluss trommelte am Mittwoch auf einer Konferenz in Brüssel dafür, mit SEP verknüpfte Auseinandersetzungen stärker einzuhegen.

(mho)