Insolvenzen: Die verschobene Welle

Die Bundesregierung hat die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht teilweise verlängert. Das schiebt die drohende Insolvenzwelle ein wenig nach hinten.

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Die verschobene Insolvenzwelle

(Bild: New Africa / shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Im März hat die Bundesregierung wegen der Corona-Pandemie zahlungsunfähige Unternehmen für ein halbes Jahr von der Pflicht entbunden, eine Insolvenz bei Gericht anzuzeigen. Der Verband der Vereine Creditreform und andere Institutionen erwarteten daraufhin eine Insolvenzwelle im Herbst. Nun gehen diese Experten von einer weiteren Verschiebung und sogar einem noch schlimmeren Verlauf aus, weil die Bundesregierung vergangene Woche die Aussetzung der Insolvenzantragsfrist für überschuldete Unternehmen bis zum Jahresende verlängert hat.

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Insolvent kann ein Unternehmen wegen Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit sein. Überschuldung ist eine unternehmensinterne Feststellung. Anders ist es bei Zahlungsunfähigkeit, denn die sehen und spüren Dritte, indem ihre Forderungen nicht beglichen werden. Für zahlungsunfähige Firmen gibt es ab Oktober auch keinen Aufschub mehr, sie müssen ihre wegen Corona eingetretene Insolvenz ab Oktober bei Gericht wieder anzeigen.

"Mit dem Aussetzen der Insolvenzpflicht bei Überschuldung steigt die Gefahr von Zombieunternehmen, die zu Lasten von Wettbewerbern wirtschaften, obwohl sie Verlust machen und nicht überlebensfähig sind", sagt Klaus-Heiner Röhl, Senior Economist am Institut für Wirtschaftsforschung Köln IW. Geschätzte 4300 Unternehmen könnten es sein, die aufgrund der Verlängerung ohne Perspektive weitermachen. Wenn nun arglose Firmen mit den überschuldeten Unternehmen Geschäfte machen, laufen sie Gefahr, dass ihre Forderungen nicht bezahlt werden.

Forderungsausfälle sind die Folge, was zu Anschlussinsolvenzen weiterer tausender Unternehmen führen kann. "Sollte die Verlängerung 2020 enden, dann werden wir im ersten Quartal 2021 einen drastischen Anstieg an Insolvenzen erleben", sagt Röhl. Es sei allerdings zu befürchten, dass die Bundesregierung die Aussetzung bis nach der Bundestagswahl verlängert, um vor der Wahl besser dazustehen, mutmaßt Röhl. Eine solche Politik macht gesunde Firmen krank und zieht das Ende überlebensunfähiger Unternehmen nur hinaus.

"Volkswirtschaftlich gesehen ist die differenzierte Anzeigepflicht erstmal positiv, denn ab Oktober wird nun der Insolvenzstau teilweise aufgelöst, weil die Marktbereinigung wieder einsetzt", sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung im Verband der Vereine Creditreform. Fakt sei, dass die Mehrheit angeschlagener Unternehmen wegen Zahlungsunfähigkeit einen Antrag auf Insolvenz einreichen und nicht wegen Überschuldung, sagt Hantzsch. Letzterer ist ein schwammiger Begriff und betrifft in der Praxis wenige Betriebe.

Hantzsch geht davon aus, dass ab Oktober besonders viele kleine Selbständige, Gewerbetreibende und kleine bis mittlere Firmen Insolvenz beantragen müssen, weil sie illiquide sind. "Dazu kommt eine große Anzahl von Unternehmen, die still und heimlich vom Markt verschwinden, die nicht in Pleite-Statistiken auftauen, sondern ihre Rechnungen bezahlen und den Laden schließen." Das sind Firmen aus den Bereichen Kultur, Sport, Erholung, Tourismus und Hotellerie. Der Verband erwartet die große Insolvenzwelle aber erst im Frühjahr 2021, weil die Amtsgerichte unter Corona-Bedingungen länger als sonst brauchen, um die Anträge abzuarbeiten.

Die derzeitige Rettungspolitik konserviert nach Meinung von Hantzsch einen Zustand, der im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftsaufschwungs kontraproduktiv ist. "Die Automobilindustrie, der Maschinenbau und auch der stationäre Einzelhandel hatte schon vor Corona massive Schwierigkeiten. Deshalb sollten wir massiv in die zukunftsfähige Ausrichtung unserer Wirtschaft investieren und keine maroden Strukturen retten."

Die Strategie der Bundesregierung verschiebe die Krise lediglich, anstatt sie die wirklichen Probleme bekämpft. "Es hat den Anschein, dass die Bundesregierung nach dem Motto agiert: Nicht hinschauen, dann ist das Problem nicht da", sagt Röhl. Um die drohende Insolvenzwelle abzuschwächen, rät er dazu, Corona-Kredite in Abhängigkeit von der Erhaltung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in Zuschüsse umzuwandeln. Das senkt die Verbindlichkeiten und fördert die Liquidität.

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Frühjahr hat vielen Unternehmen geholfen, den Lockdown zu überleben. "Bei der gerade beschlossenen Verlängerung drängt sich der Verdacht auf, dass die Politik versucht, die drohende Pleitewelle im Mittelstand so lange wie möglich aufzuschieben, am besten bis nach der Bundestagswahl", sagt Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft. 99,5 Prozent sämtlicher Unternehmen in Deutschland sind kleine und mittelständische Unternehmen.

Ohoven hält das Vorgehen der Regierung für einen "brandgefährlichen Weg", wenn Insolvenzen nicht mehr angezeigt werden müssen. "Denn eine wichtige Funktion des Insolvenzverfahrens ist temporär außer Kraft gesetzt: das Stopp-Signal." Banken und Geschäftspartnern werden Informationen vorenthalten, wie es um das Unternehmen wirtschaftlich tatsächlich bestellt ist. Sie laufen so Gefahr, bei Beginn der Pleitewelle mit in den Abgrund gerissen zu werden, obwohl sie bei rechtzeitiger Beendigung der Geschäftsbeziehungen überlebt hätten.

Die Trennung zwischen überschuldeten und zahlungsunfähigen Unternehmen dient nach Ansicht von Ohoven lediglich der Schadensbegrenzung. "Letztendlich sollten aber auch überschuldete Unternehmen die Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens so früh wie möglich in Erwägung ziehen", empfiehlt der Verbandspräsident. Seine Begründung dafür: In allen Insolvenzverfahren, die unmittelbar nach dem Ende des Aussetzungszeitraums aufgrund von Zahlungsunfähigkeit beantragt werden, dürfte ansonsten der Verdacht bestehen, dass die Antragstellung zu spät erfolgt ist. Wenn das zutrifft, droht ein Strafverfahren wegen Insolvenzverschleppung.

(axk)