Internet Governance Forum: viele Worte, kleine Schritte, ein paar Server

Es gibt ein paar praktische Ergebnisse nach dem Debattenmarathon beim zweiten Internet Governance Forum, aber man muss schon genau hinsehen, um sie zu entdecken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert

Es gibt ein paar praktische Ergebnisse nach dem Debattenmarathon beim zweiten Internet Governance Forum (IGF), aber man muss schon genau hinsehen, um sie zu entdecken. Matthew Shears von der Internet Society nannte etwa das Interesse einiger Regierungsvertreter, wie sie in ihren Ländern Internet Exchanges aufbauen und Anycast-Instanzen als Lastausgleich beim Zugriff auf die DNS-Rootzone einrichten können. Würden einige von diesen Interessenten tatsächlich entsprechende Server einrichten, könnten Internetnutzer dort von der Einsparung der Kosten für das teure Auslandsrouting ihres Datenverkehrs profitieren. Das IGF war aus einem Konflikt über die Internet-Verwaltung entstanden: Regierungen aus aller Welt hatten sich beim Weltgipfel der Informationsgesellschaft nach heftigem Streit über die mögliche Internationalisierung der Internet-Verwaltung und das Bestehen der USA auf der Oberaufsicht über das Netz auf die Einrichtung des Forums geeinigt.

Zugang zum Internet ist und bleibt ein Kernproblem, in dem man seit dem letzten IGF auch nur wenig vorangekommen sei, meint Bill Woodcock, Forschungschef des Packet Clearing House (PCH): "Ein paar mehr Internet Exchanges gibt es." Woodcock machte dafür unter anderem die in Industrieländern verzögerte Forschung an optischen Netzen verantwortlich, die dafür sorge, dass 10-Gigabit-Equipment noch nicht in Entwicklungsländer vorgedrungen sei.

Der IGF-Vorsitzende Nitin Desai unterstrich den Dialogcharakter des IGF, statt konkrete Ergebnisse hervorzuheben. "Botschaften" vom IGF gebe es viele, diese kämen allerdings nicht aus den Hauptplenarsitzungen, sondern den praktischen Arbeitsgruppen, die intensive Debatte über den Schutz von Kindern im Internet sei eine der wichtigsten. Mit Blick darauf hatte allerdings im Laufe der Woche ein Vertreter des europäischen Provider-Dachverbands EuroISPA vor übermächtigen Forderungen nach einer Internet-Filterung von Seiten von Jugendschutzorganisationen gewarnt.

Die Nichtregierungsorganisation Association for Progressive Communications, die ebenfalls den gelungenen politischen Dialog beim IGF lobte, schlug regionale IGFs sowie Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen vor. An erster Stelle nannte Karen Banks eine Arbeitsgruppe zu "illegalen und schädlichen Inhalten", weitere Bereiche seien Selbstregulierung, Geschäftsmodelle für die Schaffung von Internetzugängen in Entwicklungsländern, eine entwicklungspolitische Agenda zur Netzpolitik und offene Standards. Die Vertreter der so genannten dynamischen Koalition "offene Standards" hatten sich von ihren Gesprächen beim IGF zufrieden gezeigt, da man viel Aufmerksamkeit bekommen habe. In den "Dynamic Coalitions" des IGF sind jeweils, auf freiwilliger Basis, alle drei Gruppen von Betroffenen (neudeutsch Stakeholdergruppen genannt) vertreten – Regierungen, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft.

Große Gewinner des Treffens in Rio dürften nicht zuletzt die verschiedenen in der Netzpolitik aktiven Organisationen sein, allen voran die Internet-Verwaltung ICANN. Bei der privaten DNS-Verwaltung, deren Ersetzung durch eine internationale Organistion am Abschlusstag nochmals energisch von der russischen Regierung gefordert wurde, atmete man auf nach dem Treffen. Der frischgebackene Vorsitzende des Direktoriums, Peter Dengate Thrush, sprach von einem Erfolg. "Wir haben uns mit den Kollegen anderer Organisationen getroffen, die zum Internet arbeiten, und haben die Möglichkeit genutzt zu erklären, dass die ICANN als von der Industrie gewünschte Selbstregulierung und Selbstverwaltung kritische Netzinfrastrukturen koordiniert." Mit dem "Erzfeind" ITU und der UNESCO will man künftig bei der Arbeit zu den internationalisierten Adresszonen zusammenarbeiten.

Thrush betonte gegenüber heise online, er sei erleichtert, dass ICANN keine zusätzlichen Verpflichtungen auferlegt wurden. "Es gab eine Befürchtung, ICANN würde für all die anstehenden Fragen wie Internetzugang, Internetinhalte, Internetbetrug, in die Pflicht genommen", sagte Dengate Thrush. Man sei erleichtert, dass man mit dem IGF eine eigene Organisation dasei, die sich um diese Themen kümmern werde.

Die IGF muss sich in den kommenden Monaten auch um die eigene Organisation kümmern. Verschiedentlich wurde in Rio kritisiert, dass es an einem transparenten Verfahren fehlt, die IGF-Beratergruppe zu besetzen. Ein Rotationsverfahren und eine Besetzung nach Proporz mit gleicher Beteiligung forderte die russische Regierung in ihrem kritischen Abschlussstatement. Beobachter erwarten, dass man die Beratergruppe, die praktisch als Programmkomitee für die per Webcast und Protokoll gut dokumentierten Megatreffen fungiert, sukzessive rausrotiert wird. Auch eine Veränderung an der Spitze ist möglich. Der Diplomat Desai erinnerte die anwesenden Internettechies und -organisationen an anfängliche Befürchtungen, die UN werde mit dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft und dem IGF das Internet übernehmen. Dabei sei doch viel eher damit zu rechnen, dass es genau umgekehrt sei, schmunzelte Desai und zitierte die in einem Wettbewerb zu Zeitungsüberschriften in 20 Jahren preisgekrönte Titelzeile: "Regierungscomputer tritt zurück": "Das trifft die Wahrheit wohl eher, und vielleicht sollten wir uns darüber mehr Sorgen machen."

Zum zweiten Treffen des Internet Governance Forum der UN siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)