Ist der Genanalyse-Hype zu Ende?

23andMe und andere Start-ups, die DNA-Untersuchungen gegen Bezahlung anbieten, konnten sich lange nicht vor Kunden retten. Doch nun gibt es erste Entlassungen.

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Ist der Genanalyse-Hype zu Ende?

Kiste mit Spucke-Set für Genanalysen.

(Bild: 23andMe)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

Es rumort in Sunnyvale. Am Sitz des vor 13 Jahren gegründeten Genalayse-Start-ups 23andMe bereiten sich die Mitarbeiter auf schlechte Nachrichten vor. Gründerin und Chefin Anne Wojcicki, bis 2015 mit Google-Founder Sergey Brin verheiratet, musste ihren Angestellten berichten, dass es Entlassungen geben wird. 100 der im vergangenen Jahr knapp 700 Beschäftigten werden gehen müssen.

Ein langsamer und schmerzhafter Prozess sei dies gewesen, teilte Wojcicki gegenüber dem US-Börsensender CNBC mit. Man sei von einem Umschwung im Markt "überrascht" worden. Die Nachfrage nach Gentests, die direkt an Endkunden verkauft werden – das Brot-und-Butter-Geschäft von 23andMe, das Google zu seinen wichtigsten Investoren zählt – sei eingebrochen.

Eine klare Erklärung dafür habe sie nicht, doch Wojcicki spekulierte, die Kunden könnten sich vor einer womöglich kommenden Rezession fürchten und Geld sparen wollen, zudem gebe es bei manchen Datenschutzbedenken. Man reduziere seine Mitarbeiteranzahl jetzt, "weil das es ist, wofür der Markt derzeit bereit ist". Insgesamt sollen bis zu 15 Prozent der Mitarbeiter entlassen werden.

Eigentlich gab es um die DNA-Analysen insbesondere in den USA einen mächtigen Hype. Gentests, die Nutzern Auskunft über ihre Herkunft und ihre Gesundheit gaben, boomten seit Jahren, auch gepusht durch Werbung im Fernsehen und im Internet. "Einzigartige Einblicke" durch den Blick auf ihr Genom wurden den Menschen versprochen.

Im Jahr 2018 soll sich die Anzahl der Nutzer, die solche Tests gekauft haben, verdoppelt haben. Die Gendatenbanken, die Firmen wie 23andMe, Ancestry.com und andere kleinere Firmen aufbauen konnten, wuchsen kräftig. Mittlerweile sollen DNA-Informationen von über 26 Millionen Menschen vorliegen.

Der 100 US-Dollar teure Gentest, den 23andMe als Hauptprodukt verkaufte, war 2019 aber offenbar kein Hit mehr. Die Verkäufe sollen "dramatisch" zurückgegangen sein. Berechnungen der US-Ausgabe von Technology Review zufolge wurden von den größten Anbietern nur noch zwischen vier bis sechs Millionen Stück abgesetzt, was die Gendatenbanken nur noch um 20 Prozent vergrößert hätte. Das wäre die bislang niedrigste Wachstumsrate der Genanalysebranche überhaupt, seitdem diese existiert.

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Warum die Nutzer kein Interesse mehr zeigen, ist – wie Wojcicki selbst schon meinte – weitgehend unklar. Es gibt allerdings einige Hinweise, was die Kundschaft entscheiden ließ, den "Kaufen"-Knopf im Web besser nicht zu drücken. Zum einen dürfte eine gewisse Sättigung vorhanden sein. Die Anzahl der Menschen, die wirklich wissen will, zu wie viel Prozent sie womöglich aus Frankreich oder Nigeria stammen, scheint begrenzt – ebenso, ob ein Risiko für frühzeitige Glatzenbildung besteht.

Zudem gibt es Ängste, dass die Gendaten sich zu weit verteilen könnten. In den USA wird der Schutz der Privatsphäre hier erstaunlich nachlässig behandelt. Besonders spektakulär waren zum Beispiel berichte, dass die amerikanische Polizei mittlerweile kleinere Gendatenbanken dazu nutzt, auf DNA-gestützte Straftäterjagd zu gehen.

Ancestry.com, wo die mit 16 Millionen Personendatensätzen größte Gendatenbank der Welt liegen dürfte, ließ auf Anfrage offen, ob man auch dort einen Verkaufsrückgang feststellen konnte. Das Unternehmen arbeitet inzwischen mit neuartigen Kundengewinnungstricks. Der sogenannte Re-Testing-Markt soll erobert werden. Dabei bietet das Unternehmen seinen Kunden neue Untersuchungen mit moderneren Methoden an, die am vorhandenen DNA-Bestand durchgeführt werden können – etwa auf zuvor nicht erkennbare Krankheiten.

(bsc)