Jugendmedienschutz: Selbstkontrolle will nicht an die kurze Leine

Das Verhältnis von Selbstkontrolleinrichtungen der Wirtschaft und der staatlichen Aufsicht im Jugendmedienschutz bleibt umstritten. Kritisiert wird u. a. die rigide Haltung der Kommission für Jugendmedienschutz gegenüber Schutz- und Filterprogrammen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 9 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Das Verhältnis von Selbstkontrolleinrichtungen der Wirtschaft und der staatlichen Aufsicht im Jugendmedienschutz bleibt umstritten. Laut Dieter Frey, Rechtsanwalt und einer der Initiatoren des Kölner Forum Medienrecht konzentrieren sich darauf die laufenden Debatten zur Evaluierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV). Das Forum hatte zum Jahresauftakt Vertreter der Länder, der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), der Unternehmen und der Selbstkontrolleinrichtungen zu einer Diskussion über den "Next Generation Jugendmedienschutz" eingeladen, um über mögliche Nachbesserungen am Staatsvertrag zu sprechen. Mit Jugendmedienschutzprogrammen und der umstrittenen Maßnahme der Sperrverfügungen befassen sich in der kommenden Woche auch zwei Arbeitskreise der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM).

2003 hatten Bund und Länder mit der Neufassung des Jugendschutzgesetzes und der Schaffung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags die so genannte "regulierte Selbstregulierung", auch als "Koregulierung" bezeichnet, eingeführt. Nach dem Amoklauf an einem Gymnasium in Erfurt 2002 hatte es heftige Diskussionen über die Gefährdung von Jugendlichen und Kindern etwa durch Computerspiele und Internetseiten gegeben; dies hatte mit dazu geführt, das Jugendmedienschutzrecht zu verschärfen: Am 1. April 2003 traten die aktuellen Bestimmungen zum Jugendmedienschutz (Jugendschutzgesetz,  JuSCHG, und Jugendmedienschutzstaatsvertrag,   JMStV) in Kraft.

Nach dem Jugendschutzgesetz des Bundes müssen auch Computerspiele wie zuvor Kino- und Videofilme mit einer Altersfreigabe gekennzeichnet sein. Alle neuen Medien, auch Internetseiten, können zudem auf den Index gesetzt werden und Sperrungsverfügungen unterliegen. Erweitert und verschärft wurden außerdem die Verbote für schwer jugendgefährdende Medien. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder verpflichtet Anbieter von "Telemedien" unter anderem, Jugendschutzbeauftragte zu bestellen oder sich an eine Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle anzuschließen und lizenzierte Filterprogramme einzusetzen, um Kindern und Jugendlichen den Zugang zu pornografischen, aber auch allgemein "entwicklungsbeeinträchtigenden" Inhalten zu verwehren. Der Staat überwacht mit Hilfe der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) die Einhaltung der Regeln. Eine Überprüfung dieser Regelung soll bis zum April 2008 erfolgen; das Hans-Bredow-Institut hatte dafür im Oktober vergangenen Jahres seinen Prüfbericht vorgelegt.

Eine Überprüfung der bisherigen gesetzlichen Regelung zu den so genannten Jugendschutzprogrammen hält Frey, der auch Autor des vom Bundesverband Digitale Wirtschaft veröffentlichten Gutachtens zum Jugendmedienschutz ist, für unbedingt notwendig. Jugendschutzprogramme sollen Kinder und Jugendliche vor "entwicklungsbeeinträchtigenden", aber nicht verbotenen Inhalten schützen. Allerdings hat die KJM bislang noch keinem einzigen Programm eine Anerkennung ausgesprochen. Sie hat vielmehr darauf hingewiesen, dass kein im Markt vorhandenes System den Ansprüchen genüge.

Frey sagte dazu gegenüber heise online, die Anforderungen seien zu hoch. "Es wäre besser, erst einmal loszulegen." Die bisherige Praxis der KJM habe die Weiterentwicklung solcher Programme nicht befördert. Vielmehr gebe es eine gewisse Frustration in der Branche. Eine Anerkennung durch die Selbstkontrollorganisationen statt durch die KJM könnte sich nach Ansicht des Jugendschutzexperten positiv auswirken. Im Rahmen ihrer Aufsichtsrolle könnte die KJM unzureichende Programme dann immer noch bemängeln. Die Behörde müsste allerdings nicht mehr Absagen an alle Programme erteilen, die technisch das Beste herausholten. Einen lückenlosen Schutz vor "entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten" kann es möglicherweise ohnehin nicht geben.

"Generell herrscht Einigkeit, dass das System der Koregulierung im Großen und Ganzen gut funktioniert", sagte Valentina Daiber, zuständig für Regulierungsangelegenheiten und gleichzeitig Jugendschutzbeauftragte bei O2. Entgegen dem nach Ereignissen wie dem Amoklauf von Emsdetten immer wiederkehrenden Ruf nach strengeren Regelungen seien sich staatliche und private Akteure einig, dass man ein solides System habe. Allerdings unterstreicht Daiber, die auch im Vorstand der FSM sitzt, eine Hauptforderung der Wirtschaft: "Die Selbstkontrolle braucht einen ausreichenden Beurteilungsspielraum." Nicht nur im Fall der Jugendschutzprogramme, auch bei den Altersverifikationssystemen sollten künftig die anerkannten Selbstkontrolleinrichtungen entscheiden, fordern die Unternehmen, und nicht die KJM.

"Man ist sich aber auch bei der Tagung nicht einig geworden, wie weit man die Selbstkontrolle von der Leine lassen will", sagte Frey. Mögliche Änderungen im Staatsvertrag werden nach Informationen von Marion Gierden-Jülich, Staatsministerin im Familienministerium in Nordrhein-Westfalen, in den kommenden Monaten in den Ländern diskutiert. Streit gibt es in Fachkreisen dabei durchaus auch darum, welche Anbieter unter den Jugendmedienschutzstaatsvertrag fallen und ob hier nachgebessert werden muss. (Monika Ermert) / (jk)