KI-Boom: Europas Rechenzentren halten mit Nachfragewachstum nicht Schritt

Große US-Konzerne buchen Standorte in europäischen Rechenzentren noch bevor diese gebaut sind. Die Bautätigkeit liegt deutlich unter dem Zuwachs der Nachfrage.​

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Serverraum

(Bild: Sashkin/Shutterstock.com)

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Der Boom bei maschinellem Lernen (ML) und Künstlicher Intelligenz (KI) führt zu stark steigender Nachfrage nach Serverkapazität und damit nach Stellplätzen in Rechenzentren. In den USA löst das enormes Wachstum bei Rechenzentren aus. In Europa hingegen tut sich vergleichsweise wenig. "Neue Rechenzentren sind immer schwieriger zu bauen", berichtet der Immobilienspezialist CBRE, "Anbieter haben Schwierigkeiten, sich Stromversorgung und Grundstücke zu sichern." Die Leerstandsrate in den Top 5 Städten ist erstmals unter zehn Prozent gefallen. Besonders schwer zu finden ist Colocation in Frankfurt am Main.

Das zeigen CBRE-Erhebungen. Das Unternehmen beobachtet die Lage an den 15 wichtigsten Serverstandorten Europas; die Top 5 sind Frankfurt, London, Amsterdam, Paris und Dublin (FLAPD, primary market). Die zweite Kohorte umfasst Berlin, Brüssel, Madrid, Mailand, München, Oslo, Stockholm, Warschau, Wien und Zürich (secondary market).

FLAPD umfasste zu Jahresbeginn rund 3,3 Gigawatt an Kapazität für Server. Im ersten Halbjahr sind gerade einmal 138 Megawatt hinzugekommen, im Gesamtjahr dürfte sich der Zuwachs auf 381 Megawatt summieren, sodass dann insgesamt zirka 3,6 Gigawatt zur Verfügung stehen. Zum Vergleich mit den USA: Die dieses Jahr hinzukommenden 381 MW in FLAPD entsprechen größenordnungsmäßig dem Zuwachs in zwölf Monaten alleine im nördlichen Virginia. Europas größte Serverzentrale Frankfurt stellt mit erwarteten 130 Megawatt Mehrangebot den größten Brocken in Europa.

Die Neu- und Zubauten halten mit der Nachfrage auf beiden Seiten des Atlantik nicht Schritt. Mieter sind da wie dort vor allem große US-Tech-Konzerne, die die Mietverträge schon lange vor Fertigstellung der Anlagen unterzeichnen. Zur Jahresmitte waren in FLAPD erstmals weniger als zehn Prozent der Kapazitäten frei, zum Jahresende erwartet CBRE sogar weniger als acht Prozent. In Frankfurt, wo 2017 noch ein ganzes Viertel frei war, dürfte die Leerstandsrate bis Jahresende sogar auf unter vier Prozent fallen, trotz der hinzukommenden 130 Megawatt. Das ist allerdings immer noch mehr Leerstand als in den USA, wo am Primary Market gerade einmal 2,8 Prozent nicht vermietet sind.

Am europäischen Secondary Market erwartet CBRE dieses Jahr 267 Megawatt zusätzliche Kapazität, wozu vor allem Madrid, Mailand, Warschau und Zürich beitragen. Die sekundären Standorte würden dann immerhin noch fast 16 Prozent freie Kapazität haben, erwartet CBRE, was allerdings fünf Prozentpunkte weniger wären als zwei Jahre zuvor. Und die zehn Städte des europäischen Secondary Market fallen deutlich weniger ins Gewicht. Zum Jahresende werden sie mit in Summe etwa 1,1 Gigawatt weniger als ein Drittel der Kapazität der fünf großen Städte (FLAPD) stellen.

Wieder ein Vergleich mit den USA: In den Top 8 Städten waren im ersten Halbjahr 3,9 GW zusätzliche Kapazität in Bau, dazu ein halbes Gigawatt am Secondary Market der USA. Diese aktuelle Bautätigkeit der Top 16 US-Städte entspricht also ungefähr der Gesamtkapazität, die von Adam und Eva bis Ende 2024 in den Top 15 europäischen Städten installiert worden sein wird.

Künstliche Intelligenz ist sehr energieintensiv. Jede ChatGPT-Anfrage kostet zehnmal so viel Energie wie eine Google-Suche. Der Mangel an Stromversorgung ist auch eine wesentliche Bremse für den Bau von Datenzentren. Die KI-bedingte Nachfrage nach Strom wird den Ölpreis in den nächsten zehn Jahren ein bisschen steigen lassen, erwartet Goldman Sachs Research. Die Analysten schätzen die Auswirkungen auf den marginal incentive price auf zwei Dollar je Barrel. Das ist jener Preis, der notwendig ist, um das letzte Barrel Öl zu fördern, das zur vollständigen Befriedigung der Nachfrage erforderlich ist.

Dennoch soll KI Öl billiger machen: Die Algorithmen senken nämlich die Kosten, ist Goldman Sachs überzeugt; die Erschließung neuer Schieferölvorkommnisse soll 30 Prozent billiger werden, und bestehende Anlagen würden dank KI-Unterstützung acht bis 20 Prozent mehr Öl herausholen. Diese Faktoren würden den marginal incentive price um fünf Dollar je Barrel senken, sodass sich insgesamt eine mittelfristige Reduktion um drei Dollar je Barrel ergibt.

(ds)