KI lernt Fliegen

Eine KI gibt Befehle an ein anatomisches korrektes Computermodell einer Fruchtfliege, so dass die virtuelle Fliege laufen und fliegen kann.

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Frontansicht einer virtuellen Fruchtfliege vor schwarzem Hintergrund

(Bild: Vaxenburger et al.)

Lesezeit: 3 Min.

Ein internationales Forschungsteam, geleitet von Forschenden des Howard Hughes Medical Center, an dem unter anderem auch Google Deepmind beteiligt war, hat ein anatomisch korrektes Computermodell einer Fruchtfliege geschaffen, das von einer KI gesteuert wird. Die virtuelle Fliege kann nicht nur laufen und komplexe Flugbahnen zurücklegen. Sie setzt auch ihre Augen zur Kontrolle und Steuerung des Fluges ein – allerdings bisher nur in einer Physik-Simulation. Mit dem Modell wollen die Forschenden langfristig das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Körper untersuchen. Technische Einzelheiten beschreiben sie in einem Preprint-Paper.

Das neue Modell ist das erste einer Reihe von realistischen Tiermodellen, die das Team und andere Forscher nun mit Hilfe dieses universellen, quelloffenen Frameworks entwickeln können. Diese Modelle könnten den Wissenschaftlern helfen, besser zu verstehen, wie Körper und Umwelt kognitive Prozesse beeinflussen, und umgekehrt. Der Ansatz wird als embodied cognition bezeichnet.

Abgesehen von solchen konzeptionellen Überlegungen ist das, was auf den ersten Blick sehr simpel klingt, eine bemerkenswerte technische Leistung. Fliegen erzeugen mit enorm schnellen Bewegungen der Flügel ihren Auftrieb – bis zu 200 Schläge pro Sekunde. Zuständig dafür sind zwei Muskelgruppen. Die eine bewegt die Flügel nach unten und dehnen dabei die anderen. Die Spannung löst dann das Zusammenziehen der zweite Muskelgruppe aus, die wiederum eine Spannung in der ersten Muskelgruppe erzeugt. Dabei schlagen die Flügel allerdings nicht einfach nur auf und ab, sondern folgen einer komplizierteren Bahn in Form einer Acht.

Um das Computermodell der Fliege (Video) zu anzusteuern, trainierten die Forschenden ein tiefes neuronales Netz mit Hilfe von Verstärkungslernen (deep reinforcement learning). Das Netz "nimmt dabei die Rolle des Nervensystems ein", schreiben die Forschenden. Es reagiert auf – simulierte – Eingaben der Sinnesorgane und steuert Muskelguppen an, um ein gewünschtes Verhalten zu erzeugen. Um das Netz zu trainieren, verwendete das Forschungsteam Aufnahmen von Hochgeschwindigkeits-Kameras.

"Um Netze zu trainieren, die sich von Trainingstrajektorien zur Fortbewegung entlang neuer Trajektorien verallgemeinern können, verwenden wir steuerbare Low-Level Steuerungen", schreiben die Autoren. "Diese neuronalen Netze sind analog zum ventralen Nervenstrang (VNC) des zentralen Nervensystems der Fliege und sind für die Umsetzung von hochrangigen Befehlssignale aus dem Zentralhirn in niederschwellige motorische Steuersignale verantwortlich." Dabei sind die "hochrangigen Befehle" in diesem Fall die gewünschten Änderung der Position und Orientierung der Fliege, die "niederschwelligen motorischen Signale", die Steuerbefehle für die virtuellen Muskeln.

Die Simulation der Fliegenbewegungen sei eine "considerable computational challenge" gewesen, schreiben die Autoren, "sowohl was die Anzahl der Freiheitsgrade angeht, als auch die Kürze der Zeitschritte für eine erfolgreiche Simulation." Denn obwohl das Modell, das auch auf zahlreichen Mikroskop-Aufnahmen von Fruchtfliegen entwickelt wurde, mechanisch vereinfacht ist, gibt es darin noch immer 102 Freiheitsgrade. Und die 200 Flügelschläge pro Sekunden der Fliege erzwangen eine zeitliche Auflösung von 0,1 Millisekunden. Um das Verhalten der Fruchtfliege zu simulieren, mussten die Forschenden den bereits vorhandenen Simulator erheblich verbessern. Nachdem das Team nun gezeigt hat, dass es diese Art von realistischen virtuellen Modellen erstellen kann, möchte es auch eine virtuelle Maus und einen virtuellen Zebrafisch erstellen, zwei Organismen, die von Neurowissenschaftlern häufig untersucht werden.

(wst)