Karibikstaat will WTO-Erlaubnis für Verstöße gegen US-Copyright

Im langjährigen Streit um Online-Glücksspiel berät die WTO über Sanktionen gegen die USA. Der klagende Karibikstaat Antigua und Barbuda hat eine Idee: Einen Freibrief für Verstöße gegen das US-Copyright.

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Im Handelsstreit zwischen der Supermacht USA und dem karibischen Inselstaat Antigua und Barbuda fordert der kleine Herausforderer jetzt eine Kompensation für die US-Verstöße gegen Abkommen der World Trade Organization (WTO). Wenn antiguanische Online-Casinos weiterhin von Geschäften in den USA ausgeschlossen werden, fordert der Karibikstaat nun die Erlaubnis, amerikanische Urheberrechte verletzen zu dürfen. Antigua will Filme, Musik und Software aus den Vereinigten Staaten kopieren und vertreiben dürfen. Abgesehen von der Möglichkeit, dass die weltweit beliebtesten Downloadangebote dann in der Karibik liegen dürften, sorgt das langjährige WTO-Verfahren in Washington für eine explosive politische Gemengelage. Zumal mit einem 2006 verabschiedeten Gesetz gegen Online-Gambling weiterer Ärger mit Antigua droht.

Auslöser des Streits zwischen David und Goliath sind Gesetze, die US-Bürgern die Teilnahme an Online-Glückspielen untersagen, während Pferdewetten, Lotterien und Fantasy-Ligen auch im Netz erlaubt sind. Für die zahlreichen Offshore-Casinos auf Antigua hatte der Inselstaat sich 2003 bei der WTO beschwert, das US-Gesetz verstoße gegen das GATS-Abkommen (General Agreement on Trade in Services) von 1995, das den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen regelt. Die WTO hatte dieser Beschwerde 2004 stattgegeben, eine Rüge ausgesprochen und auch die folgenden Einsprüche der USA abgewiesen.

In Washington hatten viele nicht damit gerechnet, dass die in Genf ansässige Handelsorganisation bis in die US-Gesetzgebung zum Glücksspiel hinein regieren würde. Doch stehen die USA jetzt vor dem Problem, die Gesetze entweder so zu ändern, dass Bürger bei antiguanischen oder anderen Offshore-Casinos spielen können, oder sie müssen Spielmöglichkeiten im Netz komplett unterbinden, also auch Pferdewetten, Lotterien und Fantasy-Ligen. Oder sie bleiben auf Kurs, ignorieren die WTO-Rüge und nehmen Sanktionen in Kauf. Das ist rutschiges Terrain für ein Land, das sich über die Ignoranz der Chinesen gegenüber WTO-Verfahren beschwert.

Die WTO auf der anderen Seite legt sich mit ihrem mächtigsten Unterstützer an. Zurückziehen können die Genfer Handelswächter nicht mehr, ohne einen massiven Gesichtsverlust zu erleiden. Sollten sie aber die USA bestrafen, droht ein erheblicher Stimmungsumschwung in Washington. Die Amerikaner haben die Frist, auf die WTO-Rüge zu reagieren und ihr Gesetz anzupassen, längst verstreichen lassen. Jetzt ist der Fall vor einem Gremium, das über die Sanktionen berät. "Dabei steht enorm viel auf dem Spiel", meint Harvard-Professor Charles Nesson gegenüber der New York Times.

Nach WTO-Gepflogenheiten könnte Antigua nun die gleichen Handelbeschränkungen gegenüber den Vereinigten Staaten errichten. Doch wiegt der Schaden, den der kleine Inselstaat durch die US-Gesetze hat, ungleich schwerer. Der amerikanische Riese wird es kaum merken, das der 70.000-Einwohner-Staat ihn von seinem Dienstleistungsmarkt ausschließt. Deshalb fordert Antigua auch eine ungewöhnliche Sanktion: Die Erlaubnis, das amerikanische Urheberrecht zu brechen. Die hatte die WTO schon einmal Ecuador erteilt. Der mittelamerikanische Staat hatte davon aber keinen Gebrauch gemacht.

Angesichts dieses Risikos dürften die Washingtoner Lobbyisten der Film-, Musik- und Softwarebranche schon unruhig mit den Füßen scharren und den Druck auf die Regierung Bush erhöhen, sich mit dem Karibikzwerg irgendwie zu einigen. Unterdessen wollen die USA bestehende Handelsabkommen dahingehend ergänzen, das Glückspieldienste nicht Teil der Abmachung seien. Das sei auch nie so geplant gewesen, meinte ein Vertreter der US-Handelsbeauftragten. Während die WTO den Amerikanern das sogar glaubt, sieht sie allerdings keine andere Möglichkeit, als sich an den Wortlaut des Abkommens zu halten. (vbr)