Klub der Kopierschützer lädt Steve Jobs ein

Musik ohne DRM würde sich besser verkaufen: Das glaubt auch die Mehrheit der Branche, trotzdem will die Musikindustrie nicht auf den Kopierschutz verzichten. Stattdessen soll sich Apple für einen gemeinsamen Standard öffnen.

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Kein Zweifel, Steve Jobs' Worte haben Wirkung gezeigt. Seit sich der Apple-Boss in aller Öffentlichkeit tiefschürfende Gedanken über Musik macht, spricht die Branche über das Für und Wider des digitalen Kopierschutzes. Jobs will DRM (Digital Rights Management) am liebsten abschaffen. Den Kunden freut das. Kein Kunde ist mit DRM wirklich glücklich, weshalb er sich andere, nicht immer legale Quellen für seine Musik sucht. Die Musikindustrie, so meinen Jobs und andere Insider, könnte durch einen Verzicht auf DRM endlich wieder wettbewerbsfähig werden. Doch dürfte hinter Jobs Plädoyer auch seine eigene Agenda stehen: Apple hat wegen des geschlossenen iTunes-Systems insbesondere in Europa Ärger mit Verbraucherschützern. Und Apple will als Marktführer sein System nicht für andere öffnen.

Musst du auch nicht, ruft die DRM-Branche dem Apple-Boss jetzt zu und lädt ihn ein, dem Klub der Kopierschützer beizutreten. Das von Unternehmen der Unterhaltungsbranche gegründete Coral Consortium hat sich in einem offenen Brief (offenbar kommuniziert man über die alten Schützengräben hinweg lieber erst mal schriftlich miteinander) direkt an Steve Jobs gewandt. Das Konsortium, dem unter anderem die großen Plattenlabel, die Filmindustrie und deren jeweilige Verbände angehören, war 2004 gegründet worden, um Unverträglichkeiten verschiedener DRM-Systeme zu vermeiden und langfristig einen gemeinsamen Standard zu entwickeln.

Wie es von der DRM-Initiative der Industrie nicht anders zu erwarten war, will das Coral Consortium mit Jobs nicht über einen Verzicht auf DRM diskutieren. Stattdessen stürzt sich die Branche auf die von Jobs – mutmaßlich rein rhetorisch – diskutierte Möglichkeit, das bei iTunes und dem iPod eingesetzte DRM in irgendeiner Form zu standardisieren und zu öffnen. Doch Jobs will das nicht wirklich, wie aus seinem Text deutlich wird. Dennoch lädt Coral-Präsident Jack Lacy den Apple-Chef nun ein, dem Konsortium beizutreten und die bereits verabschiedeten Standards zur Interoperabilität in das FairPlay-DRM zu integrieren.

Eine andere Entwicklung scheint den meinungsstarken Funktionären der Content-Industrie derzeit allerdings zu entgehen. Ihr stures Beharren auf den digitalen Kopierschutz trifft offenbar auf immer weniger Zustimmung in der Branche – zumindest in der Musikindustrie auf dem alten Kontinent, wo Herr Jobs den Großteil der Big Four bereits richtig verortet hatte. Zwei Drittel der europäischen Führungskräfte in der Musikindustrie glauben einer Studie von Jupiter Research zufolge, dass sich Musik ohne digitales Sicherheitsschloss besser verkaufen würde. Dennoch schätzen die Wenigsten der Insider, dass DRM tatsächlich bald verschwindet. Solange die Vergütungsmodelle der Musikindustrie eine Nutzungskontrolle für jeden einzelnen Song verlangen, wird sich das nach Schätzung von DRM-Kritikern auch nicht ändern.

Für die über den Jahreswechsel (und damit vor Jobs' Gospel) durchgeführte Erhebung fragten die Analysten Manager großer und kleiner Labels, Rechteverwerter und Online-Anbieter. Über die Hälfte der Befragten halten die derzeit üblichen Systeme für zu restriktiv und 62 Prozent glauben, dass ein Verzicht den Absatz digitaler Musik erheblich steigern wird. Je nachdem, welche Gruppe hier gefragt wurde, ist dieser Glaube unterschiedlich stark ausgeprägt. Bei den Labels insgesamt glaubt weniger als die Hälfte der Befragten an bessere Verkaufszahlen. Dass fast 60 Prozent der befragten Major-Manager dagegen bei einem DRM-Verzicht mit mehr Absatz rechnen, zeigt auch den Nachholbedarf der großen Labels gegenüber den flexibleren Indies.

Weitgehend einig ist sich die Online-Branche darüber, das eine möglichst weitreichende Interoperabilität der Musik und der Abspielgeräte existenziell für die weitere Entwicklung des Geschäfts ist. Es gehört zur speziellen Schizophrenie dieser Industrie, dass immerhin 40 Prozent der Befragten nicht glauben, dass die Branche das ohne Eingriff von Verbraucherschützern oder Regierungen hinbekommt. (vbr)