Koalition vertagt Beratungen zu Online-Razzien
Bei dem Fachgespräch zwischen SPD und Union über heimliche Online-Durchsuchungen hat es nach Angaben von Beteiligten "keine Fortschritte" gegeben, während die Zweifel an der Maßnahme weiter wachsen.
In der großen Koalition herrscht weiter Uneinigkeit über die vom Bundesinnenministerium geplanten Online-Durchsuchungen. Bei Beratungen der Innenexperten der Koalition über die rechtlichen Aspekte der Maßnahmen ist es am heutigen Freitag in Berlin offenbar zu keiner Annäherung gekommen. Es habe "keinen Fortschritt" gegeben, sagte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach der Nachrichtenagentur ddp. Es sei eine weitere Gesprächsrunde vereinbart worden, doch gebe es dafür noch keinen Termin. Weitere Verhandlungen innerhalb der Koalition hält der Innenpolitiker zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht für zielführend. Erst müsse die SPD die entscheidende Frage beantworten, "ob sie die Online-Durchsuchungen mitträgt oder nicht". Dabei sei unstreitig, dass man für die verdeckte Ausforschung "informationstechnischer Systeme" hohe rechtliche Hürden brauche. Die Sozialdemokraten würden sich jedoch nicht festlegen, "weil sie nicht wissen, was sie wollen".
Die Diskussion über Online-Razzien sei in den vergangenen Tagen "geradezu hysterisch geführt", bemängelte der CDU-Politiker: "Es wurde geradezu der Eindruck erweckt, als plane der Staat eine Schleppnetzfahndung im Internet, um zu sehen, was der Bürger so alles auf seiner Festplatte hat." Das sei nicht akzeptabel, wiederholte Bosbach die Einschätzung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Ein Sprecher des Innenressorts mahnte zugleich gegenüber dpa erneut zur Eile bei der Einführung einer gesetzlichen Regelung für verdeckte Online-Durchsuchungen: "Jede Verzögerung kann ein potenzielles Risiko bedeuten."
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein bezweifelte gegenüber der Süddeutschen Zeitung unterdessen, ob die von Schäubles Beamten im Notfall erwogene "Behörden-E-Mail" als Türöffner für den so genannten Bundestrojaner "der Königsweg ist". Sicher sei jedoch, dass durch diese Variante "weniger in die Rechte Einzelner eingegriffen wird, als wenn man gefälschte E-Mails von Verwandten oder der Geliebten verschickt". Prinzipiell hielt der designierte bayerische Ministerpräsident an der Notwendigkeit von Netzbespitzelungen fest. Zwar sei notwendig, über den rechtsstaatlichen Rahmen von Online-Razzien zu diskutieren. "Dass es aber einen generellen rechtsfreien Raum im Bereich des PCs geben könnte, hielte ich für einen Systembruch." Zugleich glaubt der CSU-Politiker nicht, dass die unter anderem von Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) eingereichte Verfassungsbeschwerde "dazu führen wird, dass das Bundesverfassungsgericht Online-Durchsuchungen generell untersagt".
Laut dem Berliner Strafrechtler Ulf Buermeyer geht die Meinung in der juristischen Diskussion aber "fast einhellig dahin, dass das Gesetz wohl keinen Bestand haben wird in Karlsruhe". Allerdings sei die entscheidende Frage, auf welche Gründe im Einzelnen das Gericht seine Entscheidung stützen werde, erklärte der Richter im Deutschlandfunk. Er gehe davon aus, dass eine Online-Durchsuchung zum Zwecke der Überwachung der Telekommunikation direkt an der unverschlüsselten Quelle am heimischen PC "wohl verfassungsrechtlich weniger heikel ist als die Durchsuchung der Festplatte". Auf der anderen Seite werde "natürlich dann der Eskalation Tür und Tor geöffnet". Wenn der Bundestrojaner erstmals auf den Rechner eines Betroffenen eingepflanzt werden darf, habe der Staat "den virtuellen Fuß in die Wohnungstür gesetzt." Der Schritt vom Abhören der Internet-Telefonie hin zur "vollständigen Überwachung des Rechners" sei dann nur noch ein kleiner.
Die Pläne des Innenministeriums, Netzbespitzelungen drei Tage lang bei Gefahr im Verzug auch ohne richterliche Genehmigung durchführbar zu machen, sind nach Buermeyers Meinung kaum mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Da die Online-Überwachung eines privaten Computers seiner Ansicht nach "nicht milder zu bewerten ist als ein großer Lauschangriff", könne er sich "nicht vorstellen, dass ein Gesetz Bestand hätte in Karlsruhe, das wesentlich niedrigere Hürden vorsieht." Bei der akustischen Wohnraumüberwachung sei es nämlich so, dass regelmäßig eine mit drei Richtern besetzte Kammer über diesen Zugriff entscheiden müsse.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte inzwischen die öffentliche Diskussion über das Vorhaben Schäubles und forderte den Bundesinnenminister auf, die Bürger umfassend über die Konsequenzen aufzuklären und deren Ängste ernst zu nehmen. "Der Eindruck der Geheimniskrämerei über das, was der Gesetzgeber an polizeilichen Befugnissen und den Einsatz von technischen Mitteln plant, um der Herausforderung durch den weltweiten Terrorismus begegnen zu können, wäre kontraproduktiv", betonte der GdP-Vorsitzender Konrad Freiberg. Offensichtlich habe Schäuble nicht richtig eingeschätzt, "welche Bedeutung die moderne Technik mittlerweile für die Menschen hat und wie stark sie mit privaten Lebensbereichen verknüpft ist". Das gelte allerdings auch für Kriminelle und Terroristen. Wenn die Polizei aus dieser virtuellen Welt ausgeschlossen würde, könne sie dort auch die Bürger nicht schützen.
"Einstellen statt ausweiten", lautet derweil das Votum des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) im Hinblick auf Online-Razzien. Die Vereinigung rechnet bei einer Verabschiedung der Befugnisse mit gravierenden Auswirkungen auf Journalisten. Wer über Verbrechen recherchiere, könne ins Fadenkreuz der Online-Fahnder geraten, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken: "Recherchefreiheit und Informantenschutz würden durch die drohende Online-Durchsuchung fundamental in Frage gestellt." Schäuble solle das Vorhaben "endlich ad acta legen und damit der Pressefreiheit gerecht werden".
Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz am Montag dieser Woche:
- Mit Unikaten gegen Straftaten
- Hickhack um Online-Durchsuchung
- Schutz und Trutz vor der Online- Durchsuchung
Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen vom Wochenende im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:
- Innenministerium verrät neue Details zu Online-Durchsuchungen
- Innenministerium bezeichnet Entdeckungsrisiko fĂĽr Bundestrojaner als gering
- Heimliche Online-Durchsuchungen und der Schutz der Privatsphäre
- Bundesregierung sieht sich mit Online-Durchsuchungen nicht allein
- Netzpolitik hat mittlerweile die Antworten des Bundesinnenministeriums im Wortlaut online dokumentiert: Antworten auf den Fragenkatalog des Bundesjustizministeriums, Antworten auf die Fragen der SPD-Fraktion
Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:
(Stefan Krempl) / (vbr)