Konrad Zuse 1942: Kabarett im Krieg
Im Nachlass des Computerpioniers im Deutschen Museum liegt auch eine handgemachte humorvolle Zeitung, die zu einem "Kameradschaftsabend" von Zuses IngenieurbĂĽro im Juli 1942 entstand.
Man nennt sie gewöhnlich Bierzeitungen: mit einfachen Mitteln produzierte lustige Blätter, die für einen kleinen Kreis und in geringer Auflage ein festliches Ereignis dokumentieren. Das Deutsche Museum in München besitzt gleich zwei Ausgaben einer solchen Publikation, die mitten im 2. Weltkrieg, im Juli 1942, entstand und ein technikhistorisches Dokument darstellt. Es handelt sich um den achtseitigen "Lautsprecher" der Firma Dipl.-Ing. K. Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau, die der Computerpionier am 1. April 1941 in Berlin gegründet hatte.
Seit Dezember 2006 liegt der schriftliche Nachlass von Konrad Zuse im Archiv des Deutschen Museums. Von 2010 an wurden in einem von der DFG geförderten Projekt viele Seiten digitalisiert und ab 2012 ins Internet gestellt. Das DFG-Projekt schloss sich an ein älteres Web-Archiv des Informatik-Professors Raúl Rojas an, das auf Material basierte, das Zuse in den 1970er Jahren der GMD zur Mikroverfilmung geliehen hatte.
Zu diesem Material gehörte schon der "Lautsprecher", online gesetzt wurde er aber erst im neuen Zuse-Archiv. Wenn man den Namen eingibt, erscheinen zwei textidentische Exemplare, die auf unterschiedliche Vorbesitzer zurückgehen. Laut Titelseite kam die Bierzeitung zum ersten "Kameradschaftsabend" von Zuses kleiner Firma heraus, an der neben einigen Angestellten auch seine Eltern und sein Freund Helmut Schreyer teilnahmen.
Der "Lautsprecher" umfasst sechs Seiten Text, wobei Schreyer vielleicht den einleitenden Lobgesang auf den Firmenchef verfasste. Die übrigen Beiträge dürften von Konrad Zuse selbst stammen, der den "Lautsprecher" später auch für die GMD-Sammlung auswählte. Die Zeitung ist damit neben einem Brief, den Zuse 1945 an seine Eltern schrieb, das einzige Zeugnis im Internet, das einen Einblick in seine private Gedankenwelt während der Nazizeit gestattet. Sie zeigt zugleich die Nischen, in die sich die Berliner von 1942 vor Partei, Staat und Krieg retteten.
Als Student gehörte Konrad Zuse, wie man weiß, der Akademischen Vereinigung Motiv an, wo er sich als Kleindarsteller und Komödiant bewährte. Der "Lautsprecher" verrät durchaus humoristisches Talent, wenngleich mancher Scherz, der damals akzeptabel war, heute als sexistisch gelten würde. Auffällig ist das Fehlen von politischen Witzen; hier war vermutlich, wie man in Berlin sagt, Vorsicht die Mutter der Porzellankiste.
Ins Auge springt auf der Seite mit Gemischtem die "Anweisung für Betriebsführer", die neben anderen Verordnungen sechs Monate Praxis in einem Konzentrationslager vorsieht. Die "Behandlung liederlicher Menschen", die es dort zu lernen gilt, erinnert an das "Konzertlager" des Kabarettisten Willy Schaeffers, eines üblen Opportunisten. Von 1938 bis 1944 leitete Schaeffers das Kabarett der Komiker, das Konrad Zuse höchstwahrscheinlich kannte. [Update: Nach anderen Informationen handelt es sich um den Conferencier Kurt Wallner.]
Die frohe Runde, in der Zuse sicher auch einen humorvollen Vortrag zum Besten gab, fand im Juli 1942 statt, als die deutsche Wehrmacht noch an allen Fronten siegte und feindliche Flieger selten Berlin erreichten. Das sollte sich bald ändern, und Zuses frühe Computer wurden mit Ausnahme des Modells V4 – das nach dem Krieg als Z4 in der Schweiz lief – im Bombenkrieg zerstört. Ein zweiter "Kameradschaftsabend" ist nicht überliefert, und die Dipl.-Ing. K. Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau wurde kurz vor Kriegsende 1945 aus dem Handelsregister gelöscht. (bo)