Kritiker fordern Verlängerung für Jugendmedienschutz-Debatte
Bevor die Ministerpräsidenten die umstrittene Neufassung des Staatsvertrags zum Jugendmedienschutz am Donnerstag absegnen, wenden sich Kritiker mit einem Appell an die Landesfürsten, die Unterzeichnung zu verschieben.
Der novellierte Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) ist nach Ansicht von Kritikern nicht unterschriftsreif. Gemeinsam mit anderen Organisationen appellierte der Arbeitskeis Zensur jetzt in einem Brief an die Ministerpräsidenten, die für Donnerstag geplante Unterzeichnung zu verschieben und sich zuerst noch den Expertenrat der jüngst eingesetzten Enquete-Kommission des deutschen Bundestags einzuholen. Am Donnerstag steht die umstrittene JMStV-Novelle auf der Tagesordnung der Länderchefs.
"Wir bitten Sie, die Chance zu nutzen, die fachliche Expertise der interdisziplinären Zusammenarbeit der Enquete-Kommission mit einzubeziehen", heißt es in dem Appell. Eine solche Verschiebung trage nicht nur den laufenden Koalitionsverhandlungen in NRW Rechnung, sondern stehe durchaus auch im Einklang mit der Kritik der Arbeitsgruppe Medien der großen Fraktionsvorsitzendenkonferenz der Union im Mai. Diese hatte die weitere Überarbeitung des neuen JMStV gefordert.
Die Kritiker stellen allerdings nicht nur den zur Unterschrift vorliegenden Vertrag, sondern das ganze "im JMStV manifestierte Konzept des Jugendmedienschutzes im Allgemeinen" in Frage und fürchten "irreversible Schäden" am "kulturellen und sozialen Raum" Internet, was auch wirtschaftspolitisch bedenklich sei. Insbesondere jedoch richtet sich die Kritik gegen die Vorschrift zur Altersklassifizierung von Web-Seiten, welche die "Entwicklung" oder "Erziehung" von Kindern unter zwölf Jahren beeinträchtigen könnten.
Private Nutzer und kleine Anbieter wären damit angehalten, ihre Webseiten auf eine mögliche Entwicklungs- und Erziehungsbeeinträchtigung zu prüfen. In einem Praxis-Test hat der AK-Zensur getestet, wie normale Nutzer mit der Einstufung von Inhalten zurechtkommen. Täglich waren Nutzer aufgerufen, eine vom AK-Zensur ausgewählte Seite nach den vorgegebenen Altersfreigaben zu klassifizieren. Anschließend beurteilte Medienpädagoge Jürgen Ertelt die Seiten. Mal stuften dabei 50 Prozent der Nutzer die Seite strenger ein als der Experte, mal hielten 70 Prozent das Angebot für harmloser.
Generell zeigte das Experiment laut AK-Zensur-Sprecher Alvar Freude vor allem, wie schwierig die Bewertung ist und wie uneinheitlich die Ergebnisse. Entgegen aller Beteuerungen der JMStV-Autoren in den Staatskanzleien, dass es keineswegs um Zensur gehe, fürchtet er, dass die Regelungen einen Einstieg in die Selbstzensur bringen. "Wer sich nicht sicher ist und kein Bußgeld riskieren will, wird sich eben einfach höher einstufen", meint Freude. Werden die vom Staatsvertrag vorgesehenen Filtertools dann etwa in Bildungseinrichtungen (oder von Eltern) eingesetzt, bekommt der 15-Jährige ein politisches Blog zum Klimagipfel nicht mehr zu Gesicht.
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) begrüßte unterdessen die Verabschiedung und nannte jeglichen Zensurvorwurf "haltlos". Fraglich bleibt, inwieweit Verstöße gegen die richtige Klassifizierung bei privaten Netzangeboten tatsächlich geahndet werden können. Das Gesetz nicht ernst zu nehmen ist für die Kritiker auch keine Option, sieht es doch derzeit nicht danach aus, als würden die Ministerpräsidenten das Steuer noch einmal herumwerfen. (vbr)