Länder-Projekt: Künstliche Intelligenz soll Gerichtsurteile anonymisieren
Baden-Württemberg und Hessen testen das Programm Jano, um automatisiert personenbezogene Daten in Gerichtsentscheidungen zu erkennen und rascher zu ersetzen.
Deutsche Gerichte dürfen Urteile und andere Beschlüsse nicht komplett veröffentlichen. Um die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu wahren, müssen deren Namen und andere auf sie verweisende Informationen unkenntlich gemacht werden. Baden-Württemberg und Hessen wollen dazu ab 2024 an ersten Gerichten die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Software Jano ("Justiz Anonym") erproben. Eine bestehende Pilotversion solle dazu ausgebaut werden, erklärten die Justizministerien der beiden Länder am Dienstag. Das Instrument durchsuche Entscheidungen, erkenne darin personenbezogene Daten und schlage diese zur Anonymisierung vor.
Die Empfehlungen des Systems "werden anschließend durch Justizbeschäftigte geprüft und freigegeben", erläutern die beiden Ressorts. Dadurch entstehe "mit erheblich geringerem Aufwand eine anonymisierte Entscheidung, die veröffentlicht werden kann". Mit den so erstellten Beschlüssen könnten perspektivisch auch Trainingsdaten für die künftige Entwicklung weiterer KI-Anwendungen gewonnen werden. Die Anonymisierung "muss bislang in der Regel vollständig händisch von den Gerichten durchgeführt werden", heißt es in der Mitteilung. Dies sei nur mit "erheblichem Personalaufwand" zu stemmen und erschwere die Veröffentlichung von Entscheidungen. Auch mit Jano werde der Prozess der Anonymisierung nicht "aus der Hand der Gerichte gegeben". Mit dem Projekt folgen die beiden deutschen Länder Vorbildern aus der Schweiz und Österreich, wo Justizentscheidungen bereits mit KI-Einsatz anonymisiert werden.
Nur ein Bruchteil wird veröffentlicht
Derzeit würden "bei Weitem nicht alle Urteile veröffentlicht", erklärte eine Ministeriumssprecherin im Namen der beiden beteiligten Ressorts gegenüber heise online. Die Entscheidung dazu obliege dem jeweiligen Richter beziehungsweise der Kammer. In juristischen Datenbanken der Länder, kommerzieller Anbieter, oder der freien Rechtsprechungsdatenbank Openjur werden dann meist letztinstanzliche Entscheidungen mit Mehrwert für die Öffentlichkeit publiziert. Ein Anonymisierungsfehler eines Gerichts bedroht allerdings jetzt die freie Zugänglichkeit von Gerichtsentscheidungen bei Openjur.
Zu veröffentlichende Urteile müssten von den Gerichten "vollständig durchgearbeitet und sämtliche personenbezogene Daten durch entsprechende, kontextwahrende Platzhalter" wie "der Kläger" und "die Beklagte" ausgetauscht werden. Jano könne solche Umschreibungen automatisch zuweisen. Gerade mit dem farblichen Hervorheben jeglicher vorgeschlagenen Änderungen werde dem Bearbeiter die Anonymisierung "ganz erheblich erleichtert". Es sei dann nur noch eine Plausibilitätskontrolle erforderlich.
Den Prototypen des Werkzeugs haben Mitarbeiter der baden-württembergischen und hessischen Justiz zusammen mit einem IT-Unternehmen entwickelt. Die Justizminister der beiden Länder haben die Weiterentwicklung Janos am Montag am Landgericht Mannheim auf den Weg gebracht und einen baldigen Probebetrieb angekündigt.
Keine Anonymisierung im juristischen Sinn
Zu den Hintergründen schreibt das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD): "Die rechtlichen Grundlagen für die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen und die erforderliche Wahrung der Persönlichkeitsrechte ergeben sich aus dem Verfassungsrecht." Beide Positionen müssten jeweils im Einzelfall in einen gerechten Ausgleich gebracht werden. Nach der Rechtsprechung werde dies in der Regel so gelöst, "dass die zu veröffentlichenden Entscheidungen hinsichtlich persönlicher Angaben und Umstände zu anonymisieren sind". Es handele sich nicht um Anonymisierung im technischen oder juristischen Sinne, "sondern um die Herstellung einer herausgabefähigen Fassung, die den Persönlichkeitsrechten der betroffenen Personen Rechnung trägt."
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Die Rechtsprechung gibt Hinweise darauf, wie dies zu bewerkstelligen ist. So reicht es nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in der Regel aus, in der Zusammenfassung die Angaben über die Parteien und ihre Vertreter vollständig zu löschen und im Sachverhalt sowie in den Entscheidungsgründen die Namen aller Personen und Orte bis auf die Anfangsbuchstaben zu entfernen. Sofern dies nicht zu einer ausreichenden Unkenntlichmachung der Betroffenen führt, ist laut dem ULD unter Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit und der Persönlichkeitsrechte "eine weitere Bearbeitung erforderlich". Dabei sei es wichtig, den Richter aus dem Verfahren einzubinden. Gegebenenfalls müsse eine Publikation ganz unterbleiben.
In beiden Bundesländern sind schon andere KI-Tools im Justizeinsatz. So läuft an einzelnen Gerichten das System Codefy. Damit sollen sich umfangreiche Verfahrensakten in Massenverfahren schnell erfassen, aufarbeiten und strukturieren lassen, um die Entscheidungsfindung zu unterstützen.
(ds)