"Lex Netflix": Sender und Streaming-Dienste sind gegen Investment-Zwang

Streamingdienste und TV-Sender sollen verpflichtet werden, Millionen Euro für deutschsprachige Produktionen zu geben.​ Die Anbieter fürchten Fehlentwicklung.

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Röhrenfernseher mit Antennen

(Bild: Shutterstock/BrAt82)

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Aufruhr in der Medien- und Digitalbranche: Die Bundesregierung will Streamingdienste und sowohl private als auch öffentlich-rechtliche TV-Sender dazu zwingen, mindestens 20 Prozent ihrer Umsätze in europäische Produktionen zu investieren. Das sieht der heise online vorliegende 3. Diskussionsentwurf eines "Gesetzes zur Förderung europäischer Werke durch Direktinvestitionen" vor (Investitionsverpflichtungsgesetz, InvestVG), das unter dem Spitznamen "Lex Netflix" bekannt ist. Dem Vernehmen nach hat sich die Bundesregierung auf dessen Grundzüge verständigt.

Bereits im Parlament anhängig ist zudem eine Reform der Filmförderung. Gegen die "Lex Netflix" machen der Digitalverband Bitkom, der Verband privater Medien Vaunet sowie der europäische Arm der Motion Picture Association (MPA), in der vor allem Hollywood-Studios vertreten sind, mobil. Sie stehen dem Plan "aufgrund seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Implikationen" ablehnend gegenüber, sagen die drei Verbände in einem heise online vorliegendem Brief. Das Investitionsverpflichtungsgesetz ist demnach "gerade kein Garant dafür, dass künftig vermehrt am Standort Deutschland produziert wird". Adressiert ist das Schreiben an die Grüne Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, ihre Kabinettskollegen sowie die Staatskanzleien der Bundesländer.

"Von einem Interessenausgleich sowohl hinsichtlich der Zielsetzung als auch der Details kann bis zum heutigen Tag nicht die Rede sein", monieren Bitkom & Co. "Vielmehr handelt es sich um eine einseitige starke Belastung eines maßgeblichen Teils der Verwertungskette, der ebenfalls vor wirtschaftlichen Herausforderungen steht." Nach wie vor berücksichtige die Regierung nicht ausreichend, "dass Anbieter audiovisueller Mediendienste unterschiedliche Geschäftsmodelle und damit Angebotsinhalte haben und haben müssen, um Vielfalt und Wettbewerb zu sichern". Die von der EU-Kommission vorgebrachten Einwände gegen das deutsche Gesetz sowie verfassungsrechtliche Bedenken selbst von Roth beauftragter Gutachter habe die Regierung "augenscheinlich kaum beachtet", kritisiert der Brief. Nur international wettbewerbsfähige Anreize und eine Branchenlösung, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtige, schüfen "zeitnah und dauerhaft den von uns allen gewünschten attraktiven Produktionsstandort Deutschland".

Laut dem Diskussionsentwurf sollen TV-Sender und Streaminganbieter, die sich an den Markt der Bundesrepublik richten, 20 Prozent ihrer Umsätze für europäische audiovisuelle Produktionen ausgeben. Abgezogen wird davon die nach wie vor eingehobene Filmförderabgabe (1,8 bis 2,5 % für Streaminganbieter, 0,15 bis 3 % für TV). Vom Rest sollen mindestens sieben Zehntel in die Produktion von oder den Erwerben von Rechten an original deutschsprachigen Produktionen fließen – egal, von wem oder wo sie hergestellt werden. Produktionen in den Sprachen der vier anerkannten autochthonen Minderheiten in Deutschland werden im Gesetzesentwurf nicht erwähnt.

60 Prozent der Investitionen sollen in neue Produktionen fließen müssen, 15 Prozent in Kinofilme, 70 Prozent des Geldes müsste an unabhängige Firmen gehen. Immerhin würden auf die Investitionspflicht verschiedene andere Ausgaben angerechnet: Unterstützung von Ausbildung, Barrierefreiheit, Synchronisation, Werbung sowie Drehbuch- und Projektentwicklung. Alle Investitionen müssten Öko-Standards erfüllen, und nach maximal fünf Jahren sollen die Exklusivrechte der Geldgeber auslaufen. Streaminganbieter, die weniger als zehn Millionen Euro im Jahr in Deutschland einnehmen, sind von der Investitionsverpflichtung ausgenommen (offenbar nicht wertgesichert).

Ähnliche Verpflichtungen oder Abgaben gibt es bereits in der Schweiz, mehreren EU-Ländern und Kanada, allerdings mit Auflagen im einstelligen Prozentbereich, nicht 20 Prozent. Italien schreibt Streamern 16 Prozent vor, wovon 30 Prozent in nicht-italienische europäische Produktionen fließen dürfen. In Frankreich sollen Streamer mindestens 20 Prozent ihrer Umsätze für Rechte an französischen Produktionen ausgeben.

Ausdrücklich unterstützen die drei Verbände die ebenfalls geplante Einführung einer steuerbasierten Anreizförderung in Höhe von bis zu 30 Prozent der deutschen Herstellungskosten. Dieses Modell werde von der ganzen Branche gutgeheißen und sei "international wettbewerbsfähig". Es wäre daher am besten, damit zu beginnen, und die Auswirkungen abzuwarten.

Die Produktionsallianz hingegen ist, zusammen mit Verbänden von Kreativen und Kinos sowie Gewerkschaften und der Deutschen Filmakademie, für alle drei Maßnahmen: "Ohne große Filmförderungsreform droht der dauerhafte Verlust von Kreativität, technischen Innovationen und Arbeitsplätzen in allen Bereichen der Filmwirtschaft", mahnt der Sprecher der Produktionsallianz, Björn Böhning (SPD). "Nur Investitionsverpflichtung und Steueranreizmodell werden dafür sorgen, dass mehr Investitionen in den Filmstandort Deutschland fließen und zu mehr nachhaltiger Wertschöpfung und letztlich tollen Filmen und Serien führen."

(ds)