Lobo und Lauer zerpflücken die Geschichte der Piratenpartei

Eine solche Achterbahnfahrt gab es nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik: Die Piratenpartei ist steil aufgestiegen und jäh gefallen. Christopher Lauer und Sascha Lobo legen jetzt ein ebenso persönliches wie analytisches Buch dazu vor.

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Lobo und Lauer zerpflücken die Geschichte der Piratenpartei

(Bild: Olaf Haensel (CC BY 2.0), Ausschnitt)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Zschunke
  • dpa

Nicht wegen mangelnder Resonanz, sondern wegen eigener Unfähigkeit ist die Piratenpartei gescheitert: In einer ebenso persönlichen wie nüchternen Analyse zerpflücken der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer und der Internet-Unternehmer Sascha Lobo die Gründe für den "Aufstieg und Niedergang der Piratenpartei" – ein Buchtitel, der an große historische Epochen wie die des Römischen Reichs erinnert. Das ist aber nur eine von vielen Facetten der Selbstironie.

Nein, eine Abrechnung soll das nicht sein, versichern die beiden Autoren gleich am Anfang. Aber Lauer wäre nicht Lauer, wenn er seinen einstigen Gegenspielern wie den ehemaligen Parteichef Jens Seipenbusch oder Sebastian Nerz nicht doch ein paar äußerst bissige Bemerkungen um die Ohren hauen würde. Seine Innenperspektive, in kursiver Schrift kenntlich gemacht, wechselt mit einer eher sachlichen Darstellung der bisherigen Parteigeschichte bis in die jüngste Gegenwart hinein.

Zum Geheimnis des Erfolgs zählte aus Sicht der beiden Autoren der Umstand, dass die Partei bis Mitte 2012 "fast ausschließlich eine politische Projektionsfläche" war, die ihre Anziehungskraft aus drei diffusen Gefühlen bezog: dem eines digitalen Aufbruchs, dem Wunsch nach Mitbestimmung und der Ablehnung traditioneller Politik. Als es dann um konkrete Forderungen ging, erwies sich die Projektionsfläche schnell als brüchig. Anstatt ernsthaft die Vorteile der selbst mitentwickelten Software Liquid Feedback zur innerparteilichen Meinungsbildung zu nutzen, fetzten sich die Protagonisten der Partei auf Twitter.

Aufstieg und Fall der Piratenpartei (9 Bilder)

Piratenplakat im Bundestagswahlkampf 2009
(Bild: Mela Eckenfels (CC BY 2.0))

Die Piratenpartei hatte keine professionellen Strukturen, tat aber so als ob: So wurde etwa das Amt eines Politischen Geschäftsführers eingeführt, ohne dessen Zweck zu bestimmen. Lauer wurde in dieser Umgebung zum Polit-Hacker: "Durch penetrantes, lautes Einhaken lässt sich das System hacken, es passieren Dinge, die gar nicht vorgesehen sind." An anderer Stelle spricht er vom "Social Engineering", einer Bezeichnung für eine bestimmte Hacker-Methode, bei der Menschen manipuliert und instrumentalisiert werden. Auch die Medien habe er so für sich genutzt. Das Buch liefert eine aufschlussreiche Blaupause für politisches Handeln im Netz, für das Agieren in politischen Sphären, die noch im Fluss sind.

Beleidigt, eifersüchtig, eitel – der 30-jährige Lauer stellt sich nicht gerade als Sympathieträger dar, er beschreibt Momente, "in denen ich nachträglich von mir selbst angewidert bin". Der Rückblick würdigt die besondere Rolle von Marina Weisband bis zu ihrem Rückzug 2012 und stellt das eigene Versagen bloß: "Auch ich unternahm keinen Versuch, sie in irgendeiner Form zu halten. Ohne es mir einzugestehen, neidete ich ihr die Aufmerksamkeit." Umgekehrt bezeichnet Lauer die zunächst von ihm unterstützte Wahl von Johannes Ponader zum Nachfolger Weisbands im Rückblick als folgenschweren Fehler.

Im Frühjahr 2012 lagen die Piraten in bundesweiten Umfragen bei 13 Prozent, bei der Bundestagswahl im September 2013 kamen sie nur auf 2,2 Prozent. Als Auslöser des Einbruchs nennt das Buch die von dem Musiker Sven Regener angestoßene Debatte über das Urheberrecht, der die Piraten keine stimmige Antwort entgegensetzen konnten. Jetzt erlebte die Partei massiven öffentlichen Druck. Andere Gruppen schmiedet das zusammen, nicht aber die Piraten. "Ich war schlichtweg unfähig, was die soziale Parteiarbeit anging", schreibt Lauer. Er habe Gräben "mit großer Lust vertieft, statt sie zuzuschütten".

Im Gespräch mit der dpa zum Erscheinen des Buchs räumt Lauer ein, dass "mir meine Eitelkeit selbst im Weg gestanden hat, ich frage mich, ob ich mich nicht auch ein bisschen erwachsener hätte verhalten können. Aber natürlich müssen Politiker auch eitel sein." Im September ist Lauer aus der Piratenpartei ausgetreten, gehört ihrer Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus aber weiter an. Wie geht es weiter? "Zum Ende der Legislaturperiode in zwei Jahren werde ich mir genau überlegen, ob ich mir Politik im Sinne von Parteipolitik noch weiter antun möchte oder nicht."

Die Piraten hätten gezeigt, dass auch kleine Parteien etwas bewegen könnten, antwortet Lobo auf eine Twitter-Frage. "Parteien funktionieren. Das richtige Instrument für die Digitale Demokratie ist aber noch nicht gefunden." (anw)