Luxemburger Microsoft-Prozess beginnt mit hartem Schlagabtausch

"Das Recht auf Innovationen ist entscheidend für den Erfolg eines jeden Unternehmens – und für jeden Staat", meinte heute am ersten Tag der Anhörung zur Klage Microsofts gegen die EU-Kommission Brad Smith, Chefjurist des Konzerns.

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Von
  • Christian Böhmer
  • dpa

Zum Auftakt des Luxemburger Microsoft-Prozesses haben sich der weltgrößte Softwarekonzern und die EU-Wettbewerbshüter einen harten Schlagabtausch geliefert. Microsoft warf der EU-Kommission vor, die von ihr erzwungene Windows-Version ohne Windows Mediaplayer sei an der Ladentheke ein beispielloser Flop. Die Kommission bestand hingegen vor dem zweithöchsten EU-Gericht in Luxemburg darauf, der US-Konzern habe sein Quasi-Monopol bei PC-Betriebssystemen zum Schaden von Konkurrenten und Verbrauchern missbraucht.

Microsoft-Chefjurist Brad Smith sagte heute am Rande der Mammut-Verhandlung: "Die Fakten zeigen, dass es eine starke Konkurrenz gibt und dass die Verbraucher die Wahl haben." Der seit Jahren aufgefochtene Streit mit den EU-Wettbewerbshütern gehe weit über Microsoft hinaus. "Das Recht auf Innovationen ist entscheidend für den Erfolg eines jeden Unternehmens – und für jeden Staat", sagte die Nummer drei des Konzerns. Seine direkte Kontrahentin, EU- Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, war nicht nach Luxemburg gekommen. Für ihre Behörde sprachen hohe Beamte.

Die mündliche Verhandlung vor dem EU-Gericht erster Instanz läuft noch bis zum Freitag. Ein Urteil wird erst im kommenden Jahr erwartet. Die Kommission hatte den Konzern vor zwei Jahren mit einem Rekordbußgeld von 497 Millionen Euro bestraft und ihn zur Öffnung von Windows für mehr Wettbewerb verurteilt. Microsoft hatte gegen die Strafen geklagt. Um Erfüllung der Auflagen gibt es auch in Brüssel noch Streit – Kroes droht mit täglichen Bußgeldern von bis zu zwei Millionen Euro. Ein Beschluss dazu wird bis zum Sommer fallen.

Microsoft-Anwalt Jean-Francois Bellis sagte der Großen Kammer des Gerichts mit 13 Richtern, weder Computerhersteller noch Verbraucher wollten die abgespeckte Windows-Version ohne den Mediaplayer haben. Nur knapp 1800 Exemplare der Variante Windows XP N seien verkauft worden. Das seien gerade mal 0,005 Prozent der gesamten Verkäufe in Europa. "Es gibt keine Nachfrage dafür", bilanzierte der belgische Jurist. Die Kommission hatte vor zwei Jahren die abgespeckte Version von Windows verlangt, um für mehr Wettbewerb zu sorgen. Aus Kreisen der Behörde hieß es, Microsoft habe nichts Neues in Luxemburg präsentiert.

Sowohl Microsoft als auch die Kommission werden im dem kompliziertesten Brüsseler Wettbewerbsfall von mehreren Organisationen und Unternehmen unterstützt. Die Interessengemeinschaft ECIS, die auf Seiten der Kommission steht, wies die Microsoft-Argumentation beim Mediaplayer zurück. Das kommerzielle Scheitern der abgespeckten Windows-Version zeige deutlich die beherrschende Stellung von Microsoft. "Die Auflagen (der Kommission) für Microsoft kamen zu spät und waren zu schwach", sagte ECIS-Vertreter Thomas Vinje. "Falls Microsoft hier gewinnt, können sie in Windows integrieren, was sie wollen." ECIS vertritt nach eigenen Angaben erste Adressen der Branche wie IBM, Nokia oder Oracle.

Der zweite große Bereich der EU-Sanktionen, die Preisgabe von Schnittstelleninformationen für Microsoft-Konkurrenten, soll vom Mittwoch an zur Sprache kommen. Gerichtspräsident Bo Vesterdorf hatte vor eineinhalb Jahren in einer vorgeschalteten Eil-Prozedur die EU-Sanktionen erst einmal bestätigt. Falls die Kommission unterliegen sollte, wäre ihre Handhabe gegen marktbeherrschende Konzerne stark beeinträchtigt, hieß es am Rande der Verhandlung.

Microsoft bot zum Prozessauftakt etwa 60 Anwälte und Experten auf. Die fünftägige Verhandlung stellt alles bisher Dagewesene bei dem EU-Gericht in den Schatten. Die Große Kammer wird nur bei außergewöhnlichen und sehr komplizierten Fällen formiert. Richten wird auch der aus Deutschland stammende Jurist Jörg Pirrung. Der Konflikt dürfte sich noch lange hinziehen. Als Berufungsinstanz wartet das höchste EU-Gericht, der Europäische Gerichtshof (EuGH) – ebenfalls in Luxemburg.

Hintergrund: Das Tauziehen zwischen Brüssel und Microsoft läuft seit Jahren

Im Folgenden eine Übersicht der wichtigsten Stationen des spektakulärsten und größten Brüsseler Wettbewerbsfalls:

10. Dezember 1998: Sun Microsystems beschwert sich bei der EU-Kommission über Geschäftspraktiken von Microsoft.

2. August 2000: EU-Kommission leitet ein Missbrauchs-Verfahren gegen Microsoft ein. Dieses wird später noch erweitert.

24. März 2004: Brüssel verurteilt Microsoft wegen Ausnutzung seiner beherrschenden Stellung bei PC-Betriebssystemen zu einer Rekord- Wettbewerbsstrafe von 497 Millionen Euro. Microsoft muss zudem Windows für mehr Wettbewerb öffnen. Der Konzern klagt in Luxemburg gegen den Beschluss.

21. Dezember 2004: Der Präsident des EU-Gerichts Erster Instanz, Bo Vesterdorf, schmettert einen Eil-Antrag des Konzerns auf vorläufige Suspendierung der Strafen ab.

22. Dezember 2005: Die EU-Kommission stellt fest, dass Microsoft die Auflagen vom März 2004 nicht vollständig erfüllt. Sie droht mit täglichen Bußgeldern von bis zu zwei Millionen Euro.

30. und 31. März 2006: Mündliche Anhörung bei der EU-Kommission über die Erfüllung der Sanktionen. Die EU-Kommission will bis zum Sommer entscheiden, ob die täglichen Bußgelder verhängt werden.

24. bis 28. April 2006: Verhandlung im Luxemburger Prozess vor dem EU-Gericht Erster Instanz.

Voraussichtlich 2007: Urteil des Gerichts. Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) möglich.

(Christian Böhmer, dpa) / (anw)