Mediation: Professionell streiten

Auseinandersetzungen sind im Berufsleben nicht zu vermeiden. Deren Eskalation aber schon. Mediation soll Konflikte sogar nachhaltig lösen.

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(Bild: Andrii Yalanskyi/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Streit kann ein Unternehmen kaputt machen. Brigitte Santo hat die Problematik einer Konflikteskalation selbst erlebt. Die Wirtschaftsingenieurin hat vor zehn Jahren gemeinsam mit ihrer Schwester den väterlichen Betrieb übernommen: eine Maschinenbaufirma mit knapp 200 Beschäftigten. Die Nachfolgesituation war schwierig. "Wir haben es nicht geschafft, eine gemeinsame Basis für Kommunikation, Verständnis und die Zukunft des Unternehmens zu entwickeln", sagt Santo. Die Firma hat darunter gelitten und musste in eine Teilinsolvenz.

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Santo ist aus der operativen Führung der Firma ausgestiegen, hat Ausbildungen zum Coach und zur Mediatorin abgeschlossen und arbeitet nun als freiberufliche Mediatorin und Coach in einer Kanzlei in München. Heute sagt sie: "Mit Hilfe einer Mediatorin oder eines Mediators hätten wir wahrscheinlich unsere Auseinandersetzungen beilegen können." Mediatoren sind Spezialisten für Konfliktlösungen.

Konflikte gibt es in Hülle und Fülle, denn überall wo Menschen zusammenkommen, entstehen soziale Spannungen. Nach Informationen des Instituts zur Fortbildung von Betriebsräten binden Streitereien am Arbeitsplatz etwa 15 Prozent der täglichen Arbeitszeit in Deutschland. Das ist an einem 8-Stunden-Tag eine gute Stunde, die unnötig verloren geht. Führungskräfte wenden sogar zwischen einem Drittel und der Hälfte ihrer Arbeitszeit für Auseinandersetzungen und deren Folgen auf.

Streitereien machen krank und sind teuer: In Betrieben bis zu 100 Mitarbeitern entstehen jährliche Konfliktkosten von 100.000 bis 500.000 Euro jährlich. In größeren Unternehmen können es auch weit mehr sein. Unternehmen und deren Beschäftigte sollten deshalb darauf achten, dass so wenig wie möglich Konflikte entstehen und diese richtig gelöst werden. Mediation ist der professionelle Ansatz dafür.

Mediatoren empfehlen Unternehmen, ihre Dienste deutlich früher in Anspruch zu nehmen. "Üblicherweise beauftragen uns Personalabteilungen oder die zuständigen Führungskräfte erst dann, wenn gefühlt alle internen Versuche zur Konfliktlösung gescheitert sind", sagt Alexandra Bielecke, Psychologin, Mediatorin und 1. Vorsitzende des Bundesverband MEDIATION.

Die Zahl der gut ausgebildeten Mediatorinnen und Mediatoren steigt stetig an, weil Konflikte zunehmen und das Bewusstsein für deren Klärung größer wird. Zwar ist das Corona-Virus kein unmittelbarer Konfliktauslöser, aber dessen Folgen. Beispielsweise kann die Frage, welche Beschäftigten ins Büro kommen müssen und wer weiter im Homeoffice arbeiten darf, Ungerechtigkeitsgefühle hervorrufen. Solche Empfindungen können der Nährboden für Streit sein.

Andere Auslöser dafür sind unklare Rollenverteilung, überschneidende Verantwortlichkeiten und gelenkte Informationsflüsse. Die Dynamik von Konflikten lässt sich mit dem Eisbergmodell erklären: "Unter der Wasseroberfläche spielt sich die Bedürfnislage der Menschen ab. Diese ist für das Gegenüber, oft auch für einen selbst, unsichtbar, jedoch Auslöser für den über dem Wasser sichtbaren Streit", sagt Santo. Konflikte bauen sich im Unterbewusstsein auf und senden etwa mit sinkender Leistungsbereitschaft und zunehmender Fehlerquote ihre Vorboten.

Weil Menschen unterschiedliche Bedürfnisformen und Wertvorstellungen haben, ergeben sich verschiedene Ansichten, die zu Konflikten führen können. Ebenso gehen Menschen unterschiedlich mit Auseinandersetzungen um. "Ich habe im Studium, im Beruf und als Mediatorin festgestellt, dass Informatiker und Ingenieure soziale Konflikte oft wie ein technisches Problem lösen, nämlich sachorientiert", schildert Santo.

Und sie sieht eine Tendenz bei Angehörigen technischer Berufe, dass sie im Job häufig die soziale Ebene ausblenden. Das kann zu Problemen führen, wenn Schwierigkeiten auftreten, die nichts mit der Sache zu tun haben, sondern menschlich sind. "Bei technisch affinen Personen gibt es eine gewisse Tendenz, solche Konflikte eher zu vermeiden, nach dem Motto, das wird schon wieder", sagt Santo. Wenn aber Streitereien eine längere Zeit ungelöst bestehen, eskalieren sie.

Der Konfliktforscher Friedrich Glasl teilt Auseinandersetzungen in neun Stufen ein. Eins bis drei könnten Führungskräfte selbst lösen, etwa Vorwürfe oder wenn die Kommunikation lauter als üblich ist. Ab Stufe vier rät er zur externen Hilfe. Die sei dann angebracht, wenn sich beispielsweise Koalitionen im Team bilden. Ab Stufe sieben ließen sich soziale Konflikte nur schwer lösen.

Anzeigen dafür seien etwa Veränderungen von Daten. Die Lösung dafür könne nur ebenso radikal sein: kündigen oder vor Gericht gehen. Das können auch gute, weil die richtigen Lösungen für den herrschenden Konflikt sein. Vorgesetzte eigneten sich häufig nicht als Konfliktlöser, weil sie selbst oft in Auseinandersetzungen involviert sind und damit nicht neutral sein können.

Seit knapp zehn Jahren gibt es in Deutschland ein Mediationsgesetz, das die außergerichtliche Konfliktbeilegung fördern soll. In diesem Gesetz ist auch die Ausbildung von Mediatoren geregelt. Diese soll aus 120 Stunden theoretischer und praktischer Ausbildung bestehen. "Wir gehen darüber hinaus und setzen mindestens 200 Stunden plus mehrere praktische Fälle voraus", sagt Bielecke.

Die längere Ausbildung sei notwendig, weil es Menschen häufig schwerfällt, sich bei Konflikten mit der eigenen Meinung und Lösungsvorschlägen herauszuhalten, allparteilich zu sein und anderen Werten und Sichtweisen unvoreingenommen zu begegnen. Bildungseinrichtungen bieten Kurse zur Ausbildung von Mediatorinnen und Mediatoren an, die Kosten dafür liegen bei rund 5.000 Euro.

Santo hat ihre Ausbildung bei der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern durchlaufen und geht in der Mediation nach einem strukturierten Verfahren vor: "Ich arbeite heraus, was die Interessen der Parteien sind, bin Dolmetscher, sodass sie sich gegenseitig verstehen und unterstütze sie darin, selbst die Lösung und einen besseren Umgang mit dem Konflikt zu finden", sagt Santo. Das Ziel ihrer Arbeit ist eine Lösung, die alle Beteiligten zufriedenstellt und die alle mittragen. Dann ist der Konflikt nachhaltig, weil unter dem sichtbaren Eisberg gelöst.

(axk)