Meeresforscher: Golfstrom auf dem Weg zum Kollaps

Wann die atlantische Umwälzzirkulation stoppt, lässt sich nicht sagen. Allerdings sei sie auf dem Weg dorthin, berechneten niederländische Forscher.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 487 Kommentare lesen

Durch schmelzende Gletscher wie hier auf Grönland fließt mehr Süßwasser in den Atlantik.

(Bild: NASA / JPL-Caltech)

Lesezeit: 3 Min.

Forscher der niederländischen Universität Utrecht haben in einem komplexen Klimamodell berechnet, dass sich der Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC) auf den Kollaps zubewegt. Auch berechneten sie die Folgen, die es hätte, wenn sich die Meeresströmungen ändern – der Golfstrom ist Teil dieser Umwälzbewegungen im Atlantik. Dabei würde Europa die Hauptlast tragen.

René M. van Westen, Michael Kliphuis und Henk A. Dijkstra vom Institut für Meeres- und Atmosphärenforschung in Utrecht ging es in ihrer in der Zeitschrift Science veröffentlichten Arbeit darum, hochmoderne Klimamodelle zu verwenden, um einen zuverlässigen Frühwarnindikator für den AMOC-Kipppunkt zu entwickeln. Dafür buchten sie sechs Monate Rechenzeit auf dem niederländischen nationalen Supercomputer Snellius. In den Berechnungen berücksichtigten sie neben Faktoren wie Niederschlag und Verdunstung eine verstärkte Zufuhr von Süßwasser im Nordatlantik, durch die in der Simulation die Zirkulation allmählich abnahm.

Dijkstra erläuterte, die aktuellen Beobachtungsaufzeichnungen seien zu kurzfristig, um eine zuverlässige Schätzung aufzustellen, wann der Kipppunkt erreicht sein werde. Die Berechnungen zeigten aber, "dass wir uns in darauf zu bewegen". van Westen ergänzte: "Sobald die Zirkulation im Atlantischen Ozean zusammenbricht, sind die daraus resultierenden Klimaauswirkungen im Rahmen menschlicher Zeitskalen fast irreversibel." Der Wendepunkt müsse vermieden werden, um verheerende Folgen für das Klima, die Gesellschaft und die Umwelt zu vermeiden.

In der Simulation der Forscher kühlt sich das Klima in Europa um etwa 1°C pro Jahrzehnt ab, in einigen Regionen sogar um mehr als 3°C pro Jahrzehnt, wenn die AMOC versiegt. "Kühlere Temperaturen über Europa mögen positiv erscheinen", ergänzt van Westen, aber andere Regionen würden eine beschleunigte Erwärmung und veränderte Niederschlagsmuster erleben. Darüber hinaus könne der europäische Meeresspiegel um 100 cm ansteigen.

In den vergangenen Jahrzehnten habe sich bereits der alarmierende Trend abgezeichnet, dass die Kraft des AMOC nachlässt, schreiben die Forscher. Kollegen aus den USA hatten im Oktober 2023 den Nachweis dafür gefunden, dass der Golfstom schwächelt. Die Niederländer meinen, bisher seien vereinfachte Klimamodelle verwendet worden, aber noch nicht neueste Klimamodelle wie CMIP5 und später. Der Ozeanograf Prof. Dr. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimaforschung ergänzte im Deutschlandfunk, die niederländischen Kollegen hätten eine "geradezu epische Modellsimulation" auf tausend Rechnerknoten gemacht. Zum ersten Mal sei dies mit einem "richtig guten Klimamodell" gemacht worden.

Die AMOC wird durch eine Tiefenkonvektion angetrieben; warmes und salzhaltiges Oberflächenwasser bewegt sich von Süden nach Norden, wobei es abkühlt und dadurch dichter wird. Wenn es schwer genug ist, sinkt das Wasser in tiefere Ozeanschichten ab und fließt zurück in den Süden. Klimaforscher gehen davon aus, dass dieser Mechanismus durch die globale Erwärmung gestört wird. Der nördliche Atlantik bekommt durch vermehrte Niederschläge und das verstärkte Abschmelzen des grönländischen Eisschildes mehr Süßwasser. Dadurch sinkt dort der Salzgehalt und damit die Dichte des Wassers, was das Absinken hemmt und so die AMOC-Zirkulation schwächt.

(anw)