Digitalisierung: Mehrheit der Bundesbürger bezweifelt gerechtere Bildung

56 Prozent der Teilnehmer eines Bildungspanels sorgen sich, dass die stärkere technische Vernetzung privat und in der Arbeit soziale Ungleichheiten vergrößert.

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(Bild: Black Jack/Shutterstock.com)

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Virtuelle, über vernetzte Endgeräte nutzbare Online-Kurse sind zwar prinzipiell vergleichsweise einfach zugänglich. Trotzdem befürchten 53 Prozent der Befragten im jüngsten Bildungsbarometer des Münchner Ifo-Instituts, dass die Digitalisierung insgesamt hierzulande zu einer größeren Ungleichheit im Bildungssystem führen könnte. Nur 14 Prozent erwarten dies nicht. Sogar 56 Prozent der Bundesbürger stimmen der Aussage zu, dass die zunehmende Vernetzung in Privat- und Arbeitsleben insgesamt zu einer größeren sozialen Ungleichheit in Deutschland führt. Hintergrund dieser Sorge ist etwa, dass es durch die Digitalisierung zu Arbeitsplatzverlusten unter Geringqualifizierten kommen könnte, was die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern dürfte.

Die Befragung führte die Firma Talk Online Panel im ifo-Auftrag vom 17. Mai bis 5. Juni 2023 unter insgesamt 5636 Personen durch. Sie war so angelegt, dass sie repräsentative Ergebnisse für sieben Regionen Deutschlands liefert. 2017 war das Stimmungsbild noch deutlich ausgeglichener: Der Anteil derjenigen, die keine größeren gesellschaftlichen Risse aufgrund der Digitalisierung erwarteten, lag mit 46 Prozent um 32 Prozentpunkte höher als jetzt. Vor fünf Jahren stimmten auch erst 44 Prozent der Aussage zu, dass die Vernetzung ungleiche Voraussetzungen im Bildungssystem erhöht. Generell sind die Deutschen also deutlich pessimistischer geworden, dass das Internet als sozialer Gleichmacher beim institutionellen Vermitteln von Wissen fungiert.

62 Prozent der Teilnehmer halten laut den aktuellen Ergebnissen des jährlich erstellten Barometers ungleiche Chancen zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund für ein großes Problem. Fast genauso viele (61 Prozent) sehen ungleich verteilte Möglichkeiten zwischen Kindern aus guten und schwierigen sozialen Verhältnissen als kritisch an. Um die Bildungsungleichheit zu bekämpfen, sprechen sich 69 Prozent der Bundesbürger für eine gezielte finanzielle Förderung von Schulen mit vielen benachteiligten Kindern aus. Dafür soll ihnen zufolge ein "Chancenbudget" eingeführt werden, wie es im Koalitionsvertrag der Ampel für innovative Projekte vorgesehen ist. Dagegen sind lediglich 20 Prozent der Befragten.

Wiederum 69 Prozent befürworten, den Anteil an Schülern mit ausländischer Staatsbürgerschaft und unzureichenden Sprachkenntnissen auf 30 Prozent je Klasse zu beschränken. Auch gegen eine solche Maßnahme haben 20 Prozent Bedenken. 65 Prozent der Deutschen sind für die Einführung eines Index zur Anzeige, ob Schulen aufgrund des sozialen Umfelds der Schülerschaft vor besonderen Problemen stehen. 55 Prozent unterstützen Gehaltszuschläge für Lehrkräfte an Schulen mit vielen Auszubildenden aus benachteiligten Verhältnissen. 31 Prozent sind dagegen. Um den während der Corona-Pandemie versäumten Unterrichtsstoff nachzuholen, befürworten deutliche Mehrheiten verpflichtenden Förderunterricht und Ferienkurse für benachteiligte Schülergruppen.

Die Chancen auf Bildungserfolg sollten unabhängig von den äußeren Umständen einer Person sein, betonen die Forscher. Sonst drohten zum einen individuellen Einbußen, da weniger Bildung beispielsweise mit weniger Arbeitseinkommen einhergeht. Dadurch bleiben Kindern aus benachteiligten Verhältnissen wichtige Optionen zur eigenen Entfaltung und zum sozialen Aufstieg verwehrt. Ferner komme es gesamtgesellschaftlich zu Ineffizienzen, "da Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ihr Leistungspotenzial nicht vollumfänglich nutzen können". Die Sorgen darüber, dass der Nachwuchs aus unterschiedlicher sozialer Herkunft in der Schule nicht die gleichen Möglichkeiten habe, "sind in den letzten Jahren größer geworden", kommentiert Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik. Er sieht vor allem die Politik gefordert: "Die Deutschen wollen, dass etwas dagegen getan wird."

(tiw)