Messenger-Überwachung: Faesers Position zu Chatkontrolle stößt auf viel Kritik

Der SPD-nahe Verein D64 schlägt Alarm: Die Position des Innenministeriums zu einem EU-Entwurf laufe "auf das Ende der Privatheit von Kommunikation hinaus".

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(Bild: Lenscap Photography/Shutterstock.com)

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Auch nach monatelangen Debatten steht die Position der Bundesregierung zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission für den Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern und damit verknüpften Instrumenten wie der Chatkontrolle noch nicht. Während einige Ressortchefs rasch erklärten, dass sie die damit verknüpfte massive Überwachung nebst Angriff auf sichere Verschlüsselung ablehnten, war die Haltung des federführenden Bundesinnenministeriums lange kaum greifbar.

Bis zum Jahresende soll die Ressortabstimmung über das umstrittene Dossier nun abgeschlossen und die Linie der Exekutive festgezurrt werden, damit diese sich in die parallel bereits laufende Diskussion im EU-Ministerrat einbringen kann. Der digitalpolitische, SPD-nahe Verein D64 sieht die regierungsinternen Gespräche aber auf keinem gutem Kurs. Er warnt: Seinen Informationen zufolge "laufen die Vorschläge des Innenministeriums weiterhin auf das Ende der Privatheit von Kommunikation hinaus".

"E-Mails, Messenger-Dienste und weitere Kommunikationsplattformen sollen anlasslos und massenhaft überwacht werden", kritisiert D64 die Haltung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). "Konkret soll Verschlüsselung durch Client-Side-Scanning (CSS) unterlaufen werden. Dies bedeutet, dass jeder verschlüsselte Chat, zum Beispiel WhatsApp- oder Signal-Nachrichten, auf den Endgeräten gescannt und bei Verdachtsmeldungen zur Überprüfung weitergeleitet" werde. Zudem sollten Upload-Filter und Netzsperren sowie "extrem fehleranfällige Künstliche Intelligenz" (KI) eingesetzt werden. Unschuldige Bürger würden so zu Verdächtigen, intime Austausche könnten von Dritten eingesehen werden.

Mit dem Entwurf der Kommission sollen auch Anbieter durchgängig verschlüsselter Messaging- und anderer Kommunikationsdienste wie WhatsApp, Apple, Signal und Threema über behördliche Anordnungen dazu verpflichtet werden, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch in den Nachrichten ihrer Nutzer ausfindig zu machen und die private Kommunikation flächendeckend zu scannen. Faeser begrüßte die Initiative zunächst, erklärte sie später in Teilen aber für rechtlich heikel.

Insgesamt verstrickte sich die Sozialdemokratin bisher in der Frage in Widersprüche. Sie erklärte etwa, sie halte eine anlasslose Kontrolle verschlüsselter privater Kommunikation "für nicht vereinbar mit unseren Freiheitsrechten". Nötig sei eine rechtsstaatliche Balance. Andererseits sprach sie insgesamt von einem "sehr wichtigen Kommissionsvorschlag", den es gemeinsam voranzutreiben gelte, "um diese entsetzliche Kriminalität wirksam einzudämmen".

Aus dem Bundesinnenministerium war aktuell zu entnehmen, dass Anbieter wie Facebook und Google schon jetzt Inhalte freiwillig automatisiert auf Missbrauchsdarstellungen durchsuchten. Diese – ebenfalls umstrittenen – Maßnahmen brächten immer wieder wichtige Ansätze für Ermittlungen.

Die FDP-geführten Bundesministerien für Digitales und Justiz stellten dagegen jüngst rote Linien gegen die Chatkontrolle auf. Sie wollen etwa verhindern, dass die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messengern unterwandert wird. Zuvor hatte Digitalminister Volker Wissing eine allgemeine Chatkontrolle als "nicht hinnehmbar" ausgeschlossen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen geht das Werkzeug ebenfalls zu weit.

Die Ampel-Parteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag gegen flächendeckende Kinderporno-Scans, für das Recht auf anonyme und pseudonyme Nutzung des Internets sowie die Stärkung von durchgehender Verschlüsselung ausgesprochen.

Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, betonte gegenüber heise online, diese Passagen seien für ihn maßgeblich. Er gehe davon aus, dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene auf dieser Basis verhandele und "alle Maßnahmen unterstützt, die einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs leisten können, ohne aber den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation" und das Computer-Grundrecht in Frage zu stellen.

Auch für Tobias Bacherle, Obmann der Grünen-Fraktion im Digitalausschuss, ergibt sich aus der Koalitionsvereinbarung eine klare Schlussfolgerung: "Wir setzen uns gegen die sogenannte Chatkontrolle, also das Client-Side Scanning ein." Das Vorhaben könne "zu einer gefährlichen Blaupause für autoritäre Staaten werden". Nötig sei stattdessen "eine effektivere und zielgerichtete Verfolgung dieser Gräueltaten". Das setze bei mehr Personal in den Strafverfolgungsbehörden und den weiteren Ausbau von Kompetenzen an, um bestehende Datensätze besser auswerten und nachverfolgen zu können.

Sexuelle Gewalt gegen Kinder sei "ein ernsthaftes und globales Problem ist, das wir als Ampel-Koalition konsequent und mit der vollen Härte des Rechtsstaats verfolgen", hob Manuel Höferlin, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, hervor. Die Chatkontrolle lehne er aber ab, "denn sie würde den größten Dammbruch für die Vertraulichkeit der Kommunikation seit der Erfindung des Internets bedeuten". Das Regierungsbündnis sollte besser Quick Freeze auf den Weg bringen, "um den Ermittlern endlich ein Instrument im Kampf gegen die Darstellung sexualisierter Gewalt im Internet zu geben".

Es sei vor allem als Faesers Aufgabe als Verfassungsministerin "Grundrechte und Demokratie in Deutschland zu verteidigen", unterstrich Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64. Der Verein erhoffe sich von der sozialdemokratischen Hausspitze "eine Abkehr von der Innenpolitik der letzten 16 Jahre, die von verfassungswidrigen Überwachungsmaßnahmen geprägt war". Diese seien immer wieder vor Gericht gescheitert sind und hätten Deutschland so unsicherer gemacht. Die Exekutive müsse sich auf EU-Ebene entschieden gegen die Chatkontrolle stellen.

Die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage verwies darauf, dass die am Freitag wegen Korruptionsverdacht festgenommene Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, zusammen mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson in Brüssel als "treibende Kraft hinter der Chatkontrolle" fungiert habe. Die Aktivisten fordern daher, das Gesetzgebungsverfahren auszusetzen und die Rolle der griechischen Sozialdemokratin "schonungslos aufzuklären". Sämtliche Gesetze, an denen Kaili mitgewirkt habe, gehörten auf den Prüfstand. Eine entsprechende Petition ist offen für Mitunterzeichner.

Bislang hält sich Deutschland auf Ratsebene mit Kritik an Chatkontrolle und Online-Blockaden zurück, geht aus einem Protokoll und einem Drahtbericht hervor, die Netzpolitik.org veröffentlicht hat. Vor allem Finnland und Österreich bringen demnach bislang Einwände vor. Die tschechische Ratspräsidentschaft will den Kommissionsentwurf dagegen noch verschärfen.

(mho)