Microsoft Prozeß: Verschwörungstheorie

Das Treffen führender Vertreter von Netscape und Microsoft im Juni 1995 soll von Netscape inszeniert worden sein, um den Justizbehörden Material für ihre Anschuldigungen gegen Microsoft zu liefern.

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Von
  • Wolfgang Stieler

Das Treffen führender Vertreter von Netscape und Microsoft im Juni 1995 soll von Netscape inszeniert worden sein, um den Justizbehörden Material für ihre Anschuldigungen gegen Microsoft zu liefern. Mit dieser dramatischen Kehrtwendung in seiner Verteidigungsstrategie überraschte Microsoft-Anwalt James Warden das Gericht zu Beginn der zweiten Prozeßwoche. Netscape Anwältin Christine Varney sagte gegenüber dem Wall Street Journal, sie hätte geglaubt, sich im falschen Gerichtssaal zu befinden. Letzte Woche sei das Treffen am 21. Juni eine Erfindung gewesen, heute eine Verschwörung.

Bei dem Treffen im Juni 95, so einer der zentralen Anklagepunkte des Justizministeriums, soll Microsoft dem Konkurrenten angeboten haben, mit einer größeren Summe bei Netscape einzusteigen, wenn sich die Firma aus dem Windows-Geschäft heraushalte. Während der ersten Prozeßwoche versuchte Microsoft-Anwalt Warden durch eine intensive Befragung von Netscape-Chef Barksdale nachzuweisen, daß die Microsoft Offerte "erträumt oder erfunden" sei. Bei der Wende in seiner Verteidigungsstrategie stützte Warden sich nun auf Dokumente, die Microsoft erst letzten Sonnabend zugänglich gemacht worden sind. Danach hätte das Department of Justice (DOJ) sich bereits am 22. Juni 1995, also schon einen Tag nach dem Treffen, bei Netscape nach Details erkundigt. Netscape, argumentierte der Microsoft-Anwalt, habe schon vor dem Treffen mit Microsoft Kontakt zum DOJ aufgenommen. Nur so sei die prompte Reaktion der Ermittlungsbehörden zu erklären.

Am heutigen Dienstag will die Anklage insgesamt acht Stunden Videoaufzeichnungen der Aussagen von Bill Gates vor Gericht vorführen lassen. Es gilt als wahrscheinlich, daß dieses Videomaterial danach auch der Presse zugänglich gemacht wird. Einige Auszüge der Vernehmung wurden dem Gericht schon letzte Woche vorgeführt. Für Mittwoch wird der Auftritt von David M. Colburn, Senior Vice President of Business Affairs des Online-Dienstes America Online (AOL), erwartet. Microsoft, so die Anklage, soll den Online-Dienst bedrängt haben, seinen Internet-Explorer statt Netscapes Browser kostenlos an die Kunden zu verteilen. (wst)