Millionenstrafe gegen Siemens wegen Preisabsprachen bei Hochspannungsschaltanlagen

Der Münchner Siemens-Konzern kommt nicht zur Ruhe. Wegen maßgeblicher Beteiligung an einem Kartell, das den Markt für gasisolierte Schaltanlagen (GIS) über Jahre illegal kontrollierte, soll das Unternehmen jetzt rund 419 Millionen Euro Bußgeld bezahlen.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Die EU-Kommission hat Geldbußen in Höhe mehr als 750 Millionen Euro gegen Hersteller so genannter gasisolierter Schaltanlagen (GIS) verhängt – eine der höchsten Strafen bei Kartellrechtsverfahren in Europa. Die insgesamt elf europäischen und japanischen Unternehmensgruppen hätten zwischen 1988 und 2004 Preisabsprachen, Angebotsabsprachen bei Ausschreibungen sowie Projekt- und Marktaufteilung betrieben und damit gegen Artikel 81 des EG-Vertrags verstoßen, in dem jegliche wettbewerbsbeschränkenden Praktiken verboten werden, teilte die Kommission am heutigen Mittwoch mit.

Der Münchner Siemens-Konzern bekam mit insgesamt rund 419 Millionen Euro das höchste Bußgeld aufgebrummt – laut EU-Kommission ein Rekord für einen einzelnen Kartellrechtsverstoß. Knapp 397 Millionen Euro davon entfallen auf den Siemens-Geschäftsbereich Power Transmission & Distribution (PTD), 22 Millionen auf die österreichische VA Tech, die 2005 in den Konzern eingegliedert wurde. Siemens soll gemeinsam mit den ebenfalls beteiligten Unternehmen Alstom und Areva eine führende Rolle bei den Wettbewerbsverstößen übernommen haben und Teil des Kartellsekretariats gewesen sein, weshalb bei diesen Firmen die Strafen um 50 Prozent erhöht wurden.

Gasisolierte Schaltanlagen werden zur Kontrolle des Energieflusses in Stromnetzen eingesetzt und sind ein wichtiger Bestandteil von schlüsselfertigen Umspannwerken, in denen elektrischer Strom von Hoch- in Niederspannung oder umgekehrt umgewandelt wird. Zur Isolierung der elektrischen Leiter wird das Gas Schwefelhexafluorid (SF6) verwendet. In der Regel werden GIS einschließlich der damit verbundenen Serviceleistungen wie Anlieferung, Testläufe und Isolierung angeboten. Öffentliche Versorgungsunternehmen und andere Abnehmer versuchen zumeist mittels Ausschreibungen, die für sie am besten geeigneten GIS zum günstigsten Preis zu erwerben.

Aufgeflogen waren die Absprachen im GIS-Geschäft durch eine Selbstanzeige des Schweizer Konzerns ABB. Als Wiederholungstäter hätte ABB eigentlich eine Geldbuße von rund 215 Millionen Euro zahlen müssen, unter Anwendung der Kronzeugenregelung wurde ABB die Strafe aber erlassen. Die Kartellmitglieder einigten sich unter anderem darauf, dass japanische Unternehmen nicht in Europa und europäische Unternehmen nicht in Japan verkaufen – deshalb wurden auch Strafen gegen japanische Unternehmen verhängt. In Europa teilten die Mitglieder das Geschäft per Quotenregelung auf: Alle Gebote wurden so koordiniert, dass jedes Kartellmitglied seinen aufgrund der vereinbarten Quote zustehenden Anteil an Projekten bekam.

Siemens kündigte unterdessen an, gegen die Bußgeldbescheide klagen zu wollen. "Wir halten die verhängten Bußgelder für absolut überzogen und können sie überhaupt nicht nachvollziehen", erklärte der Chef von Power Transmission & Distribution, Udo Niehage, wo die gasisolierten Hochspannungsschaltanlagen von Siemens hergestellt werden. Der Vorwurf, im Zeitraum von 1988 bis 2004 an einem Kartell im Markt für gasisolierte Hochspannungsschaltanlagen teilgenommen zu haben, gehe weit über die Erkenntnisse der internen Untersuchungen hinaus.

Das Unternehmen räumt allerdings ein, dass es von Oktober 2002 bis April 2004 bei "einigen wenigen Projekten im europäischen Wirtschaftsraum" Absprachen gab. Die dafür verantwortlichen "drei Mitarbeiter" seien nach Bekanntwerden der Vorwürfe aber suspendiert worden und würden nicht mehr für Siemens arbeiten. "Wir tolerieren das Fehlverhalten einzelner nicht, durch das unserem Unternehmen massiver Schaden zugefügt wird", sagte Niehage. PTD erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2006 mit weltweit rund 27.500 Mitarbeitern einen Umsatz von 6,5 Milliarden Euro.

Der neuerliche Ärger um fragwürdige Geschäftsmethoden bei Siemens dürfte die Stimmung auf der morgigen Jahreshauptversammlung in München weiter anheizen. Aktionärsschützer und Kleinaktionäre haben bereits angekündigt, die Konzernführung wegen der Affäre um schwarze Kassen und Schmiergeldzahlungen im Geschäftsbereich Communication (Com) nicht zu entlasten oder die Entlastung zumindest bis zur vollständigen Aufklärung der Schmiergeldaffäre zu vertagen. Zuletzt belasteten die bereits Beschuldigten zwei weitere Top-Manager von Siemens, von den Vorgängen informiert gewesen zu sein.

Den absoluten Rekord in Sachen EU-Bußgeld gegen ein einzelnes Unternehmen hält im Übrigen Microsoft. Im Frühjahr 2004 wurde der Softwarekonzern zur Zahlung von 497 Millionen Euro verdonnert – allerdings nicht im Zusammenhang mit Kartellrechtsangelegenheiten, die Preisabsprachen betrafen, sondern wegen Wettbewerbsverletzung durch Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Die höchsten Strafen im Bereich des Kartellrechts sprach die EU-Kommission im Jahr 2003 aus: Wegen ihrer Beteiligung an acht Markt- und Preiskartellen wurden gegen acht Vitaminhersteller Bußgelder in Höhe von 855 Millionen Euro verhängt. Hoffmann-La-Roche erhielt mit 462 Millionen Euro die höchste Strafe.

(pmz)