Missing Link: "Es bräuchte einen Aufstand gegen die Smartphone-Epidemie"

Seite 3: Globale Gerechtigkeit innerhalb ökologischer Grenzen

Inhaltsverzeichnis

Um zum Beispiel das Klima zu beobachten und seine Entwicklungen zu antizipieren, brauchen wir eine vernetzte und hochgradig computerisierte Wissenschaft. Wie soll eine Postwachstumsgesellschaft das aufrechterhalten können?

Welchen Anteil an der Nutzung digitaler Technologien hat die Wissenschaft denn überhaupt? Wir reden hier über Bruchteile der Gesamtnutzung und zudem über ein jenseits des luxuriösen Zeitvertreibs sehr wohl legitimes Erfordernis. Die Digitalisierung lässt sich nicht einfach rückgängig machen, das ist klar, aber ihre Nutzung als knappes Gut zu betrachten und dort einzusetzen, wo sich Notwendigkeit oder Vertretbarkeit begründen lassen, dürfte einer demokratischen Gesellschaft, die am Abgrund steht, wohl angemessen sein.

Gab es nicht auch schon Gesellschaften praktisch ohne Wirtschaftswachstum, zugleich aber mit katastrophaler Umweltbilanz?

Aber klar. Wir wissen, dass permanentes ökonomisches Wachstum niemals ohne ökologische Zerstörung auskommt, aber daraus folgt nicht der Umkehrschluss. Die Ökosphäre zu plündern, ohne daran zu verdienen, ist immer möglich, was sich an manchen afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten zeigt, manchmal schon deshalb, weil die Plünderung zugunsten des Wachstums anderer Länder erfolgt, denken wir an das Phänomen des Land Grabbings. Natürlich lassen sich auch Beispiele aus der vorindustriellen Historie finden, denken wir an die Osterinseln, an Grönland, Island oder Italien.

Wer soll in einer Postwachstumsgesellschaft vorgeben, was Luxus und was Lebensnotwendigkeit ist?

Das muss niemand vorgeben, weil es längst bekannt ist: Jedem Menschen kann pro Lebenszeit nur ein ökologisches Budget zustehen, das sich mit ca. 7.6 Mrd. multiplizieren lässt, ohne die Tragfähigkeit des Planeten zu gefährden. Denn Nachhaltigkeit kann nichts anderes sein als globale Gerechtigkeit innerhalb ökologischer Grenzen.

Auch wenn es sich dabei nur um eine regulative Idee handelt, ist sie keineswegs abstrakt, wie wir anhand des Klimawandels sehen. Hier wären es ca. eine Tonne pro Jahr oder – aufs ganze Leben gerechnet, etwa bei einer Lebenserwartung von 90 Jahren – eben 90 Tonnen. Für was jemand dieses Budget verbraucht, bleibt ihm oder ihr überlassen. Wer ein- oder zweimal in seinem Leben ein Flugzeug besteigen oder öfters Fleisch essen will, muss an anderer Stelle entsprechend sparsam sein.

Was sollte passiert, wenn einzelne diese Vorgaben missachten?

Das bleibt dem demokratischen Gestaltungsprozess überlassen, dem ich nicht vorgreifen kann. Aber eines muss klar sein: Der Wandel einer Gesellschaft geht nicht nur von dessen politischer Spitze aus, sondern kann sich auch in den Nischen entwickeln. Wenn ein bestimmter Teil der Bevölkerung endlich Ernst macht mit einem nachhaltigen Leben, statt nur darüber zu palavern und die Verantwortung bei der Politik zu sehen, die wiederum von genau denselben Menschen gewählt wird, wäre dies nicht ohne Effekt. Die Kultivierung einer durch neue Praktiken vorgelebten Nachhaltigkeit konfrontiert den Rest der Gesellschaft und setzt sie einem Rechtfertigungsdruck aus. Diese Kontroverse können wir uns nicht ersparen. Sie ist die letzte Chance. (axk)