Missing Link: Neuer 'Protokollkrieg' – Streit um New IP und erneuertes Internet

Seite 2: Mahnung vor Export totalitärer Ideen

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Nicht so sehr die technischen Verheißungen oder etwa die Aussicht auf die Notwendigkeit zwischen drei Protokollwelten – IPv4, IPv6, New IP – zu übersetzen, evozierten den Aufschrei der Berichterstatter der Financial Times. Sie richteten das Hauptaugenmerk vielmehr auf die Quelle des Vorschlags.

Zu den Absendern des an die WTSA gerichteten Vorschlags, die ITU zur Initiatorin eines "Top-Down-Designs" zu machen, gehört auch Chinas Ministerium für Information Industry und damit ein Akteur, der nicht für ein freies, neutrales Internet steht. Die von der FT befragte Surveillance-Capitalism-Autorin Shoshana Zuboff von der Harvard-Universität warnte folglich vor dem Export totalitärer Ideen. Bestätigt fühlen sich Kritiker durch einzelne Aspekte, die aus den New-IP-Präsentationen bekannt geworden sind.

Zum einen wird dort die Auftrennung klassischer Quelladressen in Endpoint-Identifier und Lokalisierungs-Information beschrieben. Quelle für die IDs wäre laut einigen Präsentationen ein "Identity Manager" im eigenen Netz. Ein "Accountability Manager" oder "Auditing Agent" ist zusätzlich fürs Key-Management und die Legitimität ausgehenden Verkehrs aufgeführt.

Für Kritiker wenig beruhigend: der Accountability Manager ist auch die Stelle, die nicht legitimen Verkehr unterbinden soll. Ein "Shut-off"-Kommando aus dem Zielnetz könnte dafür genügen.

Laut Tang sollen solche Shut-off-Kommandos von Opfern bösartigen Verkehrs, etwa DDoS-Attacken, getriggert werden können. Vertrauenerweckend wirken diese Designs aber nicht. Vor zu viel Macht für die Netzbetreiber warnten die Gesprächspartner der FT.

Die Huawei-Initiatoren setzen sich gegen die Vorwürfe wortreich zur Wehr, sie würden Machtfantasien von Regierungen in ein neues Netzdesign gießen. Tang bezeichnet es als "unfair", New IP wegen des EID-Konzepts und der Shut-off-Kommandos zu verteufeln. "Die Vorschläge sind nicht von Huawei", unterstreicht er und verweist auf die IETF-Protokoll-Entwicklungen von LISP (Locator ID Separation Protocol) und DOTS (DDoS Open Threat Signaling).

Die LISP-Entwicklung sollte die in IP-Adressen kombinierte Info über Name (ID) und Lokation eines Hosts auflösen. Von Cisco vor Jahren auf die Idee gebracht – und von Kritikern damals gerne mal als gute Absatzstrategie für zusätzliche Hardware bekrittelt –, sollen damit heute mobile Anwendungen effizienter gemacht werden, die sich von einem Netz zum nächsten bewegen. Tang unterstreicht zudem, dass die LISP-Entwickler ursprünglich nicht an die Verschlüsselung der ID gedacht haben. Huawei selbst arbeite übrigens in der IETF mit, der Anonymität für EIDs durch pro Verbindung wechselnde, flüchtige Schlüssel vorsieht. Jenseits der Netzgrenzen bleibe der Nutzer dadurch anonym.

Die Shut-off-Kommandos entspringen laut Tang den Arbeiten gegen DDoS-Attacken. Gefragt, ob solche Kontrollpunkte im Netzwerk nicht auch missbraucht werden könnten, versteckt sich Tang nicht: "Als privater Bürger bin ich vielleicht nicht für den Einsatz solcher Technologie", sagt er gegenüber heise online. "Aber es gibt Anforderungen durch Regulierung." Zudem würden die Ideen eben bereits diskutiert. Zentral für New IP seien sie nicht.

Angesichts der hochkochenden Debatte um New IP appelliert Tang zudem, die Standardisierung doch nicht so zu politisieren. "Wir brauchen den Raum, um frei über neue Technologie zu diskutieren," sagt er. "Es sollte nicht allein politisiert werden, weil es von Huawei kommt."

Unterstützung erhält Huawei von unerwarteter Seite: vom US-Think-Tank Internet Governance Project am Georgia Technology Institute. Milton Mueller, bekannter Forscher zu den Themen rund um Internet Governance, erklärt die Idee vom Export autoritärer Strukturen via Technologie etwas überschwänglich zum "neuesten Unsinn", den man eher von einer "Trump-Administration" erwarte als von seriösen Journalisten.

Solange es keine klaren technischen Entwürfe gebe, könne man kaum von einer Zentralisierung der Kontrolle sprechen, schimpft er. Nach vorne schauende Forschung und White Papers, wie das von Huawei zu New IP vorgelegte (PDF-Datei), seien noch lange keine Standards. Er hoffe, dass die technische Community sich dieser Art der einseitigen Politisierung widersetze, und ätzt: "Müssen wir vor US-Vorschlägen für das künftige Netz weniger Angst haben?"

Genau so argumentieren auch die Futurewei- und Huawei-Vertreter gegenüber heise online. Noch ist New IP Forschung und keineswegs Entwicklung. Doch enthalten die nicht öffentlich verfügbaren Dokumente für die ITU-T eben schon erste Design-Überlegungen und Hinweise, wie New IP gestaltet werden sollte. Und für die Aufnahme als Thema in den verschiedenen ITU-SGs erklärt Tang, dass man dort zunächst über Anforderungen und in einem weiteren Schritt über mögliche Lösungen diskutieren wolle. Auch wenn Huawei dafür in größeren Zeiträumen denkt, genau so werden auch Standards etwa bei der IETF vorbereitet. Vielleicht werde man am Ende auch zur IETF zurückkehren für eine Standardisierung, sagt Tang. Vielleicht werde man aber auch den Namen ändern. "Wir sind von solchen Entscheidungen noch weit entfernt."