Missing Link: Predictive Policing - Verbrechensvorhersage zwischen Hype und Realität

Seite 3: Polizeidaten, Verdachtsmomente, Anzeigen und Verbrechen

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Die österreichische Polizei hat ebenso wie die Polizeien anderer Staaten eine polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), dazu aber auch eine weitere Datenbank, den so genannten "Sicherheitsmonitor". Während in der PKS die endgültigen kriminalpolizeilichen Ergebnisse nach Abschluss der Ermittlungen erscheinen, werden in den Sicherheitsmonitor auch unbestätigte Verdachtsmomente eingespeist, es ist also eine beständig aktualisierte Momentaufnahme von Ereignissen, Handlungsweisen und Verdachtsmomenten.

"Darauf hat jeder Polizist Zugriff, und das österreichweit", sagt Jacques Huberty. "Wenn jemand zur Polizei geht und Anzeige erstattet, trägt der Polizist die betreffenden Informationen in ein System namens 'Protokollieren-Anzeigen-Daten', kurz PAD, ein, und sobald gewisse Parameter wie zum Beispiel Straftat, Paragraf, Tatort, und Tatzeit auftauchen, dann überspielt PAD es automatisch in unseren Sicherheitsmonitor und wir können das innerhalb weniger Minuten abfragen. Da können wir dann Statistiken und räumliche Analyse erstellen. Wir können gewisse Fälle, die uns besonders interessieren, genauer anschauen. Jeder Polizist in ganz Österreich hat Zugriff auf diese Datenbank."

Diese Daten allerdings sind sensibel, das machte es für die Projektpartner von Hochschule und Wirtschaft schwierig, erklärt Ulrike Kleb. Außerdem hätte man gern weitere Informationen gehabt, etwa, ob es sich bei Einbrüchen um Serieneinbrüche oder Gelegenheitstaten gehandelt hätte. Diese gab es aber nicht.

Ähnlich Arno Pilgram: "Es war kein Big-Data Projekt, sondern blieb im engen Rahmen von Daten aus dem Sicherheitsmonitor, die in der Praxis ja schon genutzt werden. Außerdem hat man keine personenbezogenen Daten mit einbezogen. Die Polizei verfügt über Datenbestände zu Taten und zu Personen, die aus guten Gründen strikt voneinander getrennt bleiben."

Dazu kam, dass die Qualität zumindest der älteren Daten nicht den Erwartungen entsprach. Die Projektpartner bekamen Daten aus fünf Jahren, und "in den ersten drei Jahren stand bei etwa der Hälfte der Datensätze unter Modus Operandi 'Aufbrechen (Sonstige)'", sagte Philip Glasner, "aber es gibt auch ein Freitextfeld, und da stand dann oft etwas ganz anderes, oder es gab Abkürzungen oder auch Rechtschreibfehler. Das machte die Auswertung auf Basis des Modus Operandi schwierig und nahezu unmöglich."

Das beklagt auch Ulrike Kleb: "Die Datenqualität war am Anfang deutlich schlechter. Immer wieder zeigte sich bei Plausibilitätstests, dass irgendwelche Dinge unlogisch waren und so nicht stattgefunden haben konnten. Aber daran hat das Bundeskriminalamt in den vergangenen Jahren stark gearbeitet, denke ich."

Dies alles aber beeinflusst das System als solches. Arno Pilgram: "Bei vielen Instrumentarien des PrePol sucht man Kriminalität immer nur dort, wo die Polizei sie schon gefunden hat. Das bedeutet gleichzeitig, dass man andere Dinge ganz bewusst NICHT ins Auge fasst. Die Polizei als Kontrollinstanz hat von vornherein und ganz bewusst bestimmte Verdachtshaltungen - schließlich weiß man dort aus Erfahrung, wo man suchen muss, um etwas zu finden."

Aber vielleicht könnte man auch ganz woanders etwas finden, wenn man nur suchte? "Man weiß aus der kritischen Kriminologie, dass gewisse gesellschaftlichen Gruppen vor Verdacht geschützt sind. Das Interessante bei PrePol wäre, auf der Grundlage vieler unterschiedlicher Daten zu prüfen, ob man so zu kontraintuitiven Ergebnissen käme, zu unerwarteten Ergebnissen."

Ein weiteres Problem von PrePol besteht darin, dass man es schlecht überprüfen kann: Angenommen, die Software sagt eine hohe Wahrscheinlichkeit an einem bestimmten Ort voraus und die Polizei läuft dort vermehrt Streife. Wenn dann nicht eingebrochen wird – liegt es an der Polizei? Oder wäre ohnehin nicht eingebrochen worden, weil ein Fehler im System steckte, der Einbrecher erkältet war, oder aus irgendeinem anderen Grund?

Helmut Hirtenlehner, Kriminologe an der Universität Linz, ist denn auch skeptisch: "Die Befunde sind nicht besonders belastbar. Einige weisen darauf hin, dass PrePol helfen kann, Tatbegehungsraten zu senken, andere wiederum sind da nicht so optimistisch." Und dazu komme noch ein anderes Problem: "Wenn in einem bestimmten Bereich in eine hohe Einbruchswahrscheinlich vorhergesagt wird und die Polizei dann komprimiert Streife geht und dort nichts passiert - organisierte osteuropäische Banden zum Beispiel wechseln vielleicht einfach nur den Tatort. Aber so etwas ist schwer nachzuweisen."

Ähnlich Philip Glasner: "Ich bin vorsichtig mit Zahlen. Die kann man so interpretieren, wie es einem wichtig ist. Ob Erfolgsmeldungen ausschließlich auf ein Predictive-Policing-Tool zurückzuführen sind, ist zu hinterfragen: Es ist schwierig zu messen, welche Maßnahmen den Rückgang der Einbruchskriminalität tatsächlich bewirkt haben."

Dagegen Jacques Huberty: "Diese Methoden haben einen grundsätzlich präventiven Charakter und wir alle wissen, dass es eben nicht DIE Art und Weise gibt, wie man Prävention messen kann." Er ist überzeugt von PrePol. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Dämmerungseinbrüche werden nämlich jährlich ausgewertet, wobei die Parameter der eingesetzten Methode hinterfragt und angepasst werden und Feedback von den Streifendiensten, Ermittlungsbereichen sowie Spurensicherungsteams eingeholt wird.

Der Trend bei der Zahl an Wohnungs- und Wohnraumeinbrüche unterliegen geht derzeit nach unten, und die Aufklärungsquote steigt, was für die Gesamtstrategie der österreichischen Polizei in diesem Deliktsbereich spricht. "Wir haben für Gesamtösterreich einen Rückgang von 23 Prozent an Einbrüchen in der Dämmerungssaison. Das betrachte ich als einen Riesenerfolg." (jk)