Tablette statt Spritze: Nanokristalle machen Insulin als Kapsel möglich
Forschende haben Nanokristalle an Insulin geheftet und das ganze mit zuckerfreier Schokolade umhĂĽllt. Das Konstrukt kann oral eingenommen werden.
Mit einer schokoladigen Erfindung will ein australisch-norwegisches Forschungsteam das Leben von zig Millionen Diabetikerinnen und Diabetikern erleichtern. Es hat eine Art Schokopille entwickelt, über die Insulin künftig womöglich einfach eingenommen werden kann – als Alternative zum üblichen Spritzen unter die Haut, zu Insulinpens und -pumpen. Das Präprarat sei nicht nur angenehmer in der Einnahme, sondern auch sicherer, berichteten die Forschenden kürzlich im Fachblatt "Nature Nanotechnology". Gefährliche Unterzuckerungen durch Überdosierungen seien nicht zu befürchten.
Das Team konnte mit seiner Innovation ein Dilemma lösen, das bisherige Versuche zur oralen Insulin-Gabe in der Regel scheitern ließ: Liegt Insulin frei vor, löst es sich im Magen schnell auf und wird von den chemisch aggressiven Säuren und Enzymen dort schlicht zerlegt. Stabile Hüllen um das Hormon herum können Abhilfe schaffen, senken aber die Bioverfügbarkeit des überlebenswichtigen Insulins im Körper – und die Wirkung fällt nur schwach aus.
Der Trick der Forschenden: Sie haben Insulinmoleküle an Nanokristalle aus Silbersulfid geheftet und diese Kristalle zusätzlich mit einem Biopolymer – hergestellt aus Chitosan und Glukose – umhüllt. Das innovative Konstrukt reagiere auf verschiedene pH-Werte unterschiedlich, schreibt das Team. Bei sehr niedrigen pH-Werten wie im Magen löst es sich danach nicht auf. Bei neutralen pH-Werten hingegen sinkt die Stabiität und das Insulin kann zunehmend von Gewebe aufgenommen werden, wie Versuche mit Würmern und Gewebeproben aus dem Zwölffingerdarm zeigten. Auch die Gegenwart von Zucker spaltenden Glukosidase-Enzymen erhöhe die Insulin-Freisetzung, heißt es.
pH-Wert und Blutzucker initiieren Freisetzung
Freigesetzt wird das Insulin in der Leber, die als eine Art Zuckerspeicher fungiert und der wichtigste Wirkort des Hormons ist. "Die Hülle löst sich dort aber nur auf, wenn der Blutzucker hoch ist. Das Insulin wird also präzise dann freigesetzt, wenn es gebraucht wird", sagt Projektleiter Nicholas J. Hunt von der University of Sydney. Damit die Einnahme auch geschmacklich attraktiv wird, haben die Forschenden die umhüllten Nanopartikel noch in Schokolade eingebettet.
Wegen der bedarfsabhängigen Vor-Ort-Wirkung hat das neue Präparat vor allem einen wichtigen Vorteil gegenüber der Spritze. Es könne nicht zu einer Überdosierung und damit zu einer gefährlichen Unterzuckerung kommen, erklärt Co-Autor Peter McCourt, Professor an der Artivc University of Norway (UiT). "Wenn man das Insulin spritzt verteilt es sich im ganzen Körper, wo es unerwünschte Nebenwirkungen verursachen kann."
Weltweit haben etwa 425 Millionen Menschen Diabetes. Rund 75 Millionen brauchen regelmäßig Insulininjektionen – darunter auch Kinder und Menschen mit Demenz, die sich oft schlicht nicht pieksen lassen wollen. Als Schokoladenstück wäre das wichtige Hormon deutlich einfacher zu verabreichen. Nicht umsonst arbeiten auch andere Forschungsteams an schlauen, magensaft-resistenten Verpackungen für Insulin. In die Praxis hat es dem australisch-norwegischen Team zufolge aber bisher noch keines geschafft.
Wann Patienten von der schokoladigen Insulin-Nanokristall-Innovation profitieren können, ist jedoch ebenfalls noch unklar. Bisher wurde sie ausschließlich an Würmern, Mäusen, Ratten und Pavianen getestet. In diesen Tierversuchen hätte sie sich als wirksam und sicher erwiesen, heißt es in der Studie. Läuft alles nach Plan, soll ein Start-up im nächsten Jahr eine erste klinische Studie starten.
(anh)