Mit den Trump-Sperren beginnt ein postmodernes Internet

Als Twitter & Co. die Accounts von Donald Trump sperrten, zeigte sich, wer wirklich die Macht hat. Die ­Debatte um Meinungsfreiheit erreichte einen ­Höhepunkt.

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(Bild: kovop58/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hendrik Wieduwilt
Inhaltsverzeichnis

Wenn Sie diesen Beitrag hier lesen, dauert der Honeymoon mit dem neuen US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden vermutlich noch an. Die Amtseinführung war so amerikanisch wie Apfelkuchen, und sie war ähnlich beruhigend: Ein Aufatmen ging durch die Welt, jedenfalls die "liberale" im amerikanischen Sinn, als Donald Trump das Weiße Haus verließ.

Zum Schluss hatte der Wüterich aber noch einmal um sich geschlagen, schlimmer als manche erwartet hatten: Den Radikalen Steve Bannon und andere hat er begnadigt. Und in einem historischen Fanal hat der Präsident einen Sturm von Extremisten ins Kapitol gehetzt – manche sagen sogar: einen Putsch versucht. Das war die eine Eskalation zu viel. Die Social-Media-Plattformen drehten Trump seine Kommunikationskanäle zu.

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Erst Twitter, dann Facebook, dann YouTube sperrten die Accounts des Präsidenten. Es entwickelte sich eine Art Whac-A-Mole, jenes in Amerika beliebte Jahrmarktspiel, bei dem man mit einem Hammer aufploppende Maulwürfe erschlägt: Trump floh von einem Dienst zum nächsten, überall senkten sich die Daumen, bis er seine Tweets schlicht auf der Website des Weißen Haus veröffentlichte. Das Internet zog den Amtswechsel praktisch vor. Im digitalen Abseits denkt Trump nun laut über den Aufbau eines eigenen Netzwerks nach.

Abschied im Groll: Vor der Amtseinführung Joe Bidens ließ sich Donald Trump mit dem Militärhubschrauber am Weißen Haus abholen und aus der Stadt fliegen.

(Bild: Alex Brandon/AP/dpa)

Doch nicht nur für Trumps Gedanken sind die Sperren ein mächtiger Ideendünger. Auch in Europa keimen alte und neue Ideen, wie man den digitalen Kommunikationsraum von Milliarden künftig regulieren sollte. Ironischerweise unterscheiden sich die Vorschläge von Trump und seinen Gegnern nur in Details. Denn sowohl der 45. Präsident als auch europäische Meinungsführer wollen die Macht der Plattformen begrenzen.

Beide Seiten haben freilich unterschiedliche Beweggründe: Trump will Regulierung (in Gestalt einer Reform der berühmten "Section 230"), weil er sich durch vermeintliche Willkür linker Tech-Konzerne bedroht fühlt. Europäische Meinungsführer wie Vize-EU-Kommissarin Vra Jourová, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Binnenmarktskommissar Thierry Breton wollen Konzerne wiederum bändigen, weil sie sie als Ursprung des Populismus begreifen – oder, weniger edel, den Boden bereiten möchten für europäische Alternativen. Der Digital Services Act könnte deshalb noch einmal aufgebohrt werden.

Selbst liberale Fachleute sind angesichts der turboladerartigen Wirkung sozialer Netzwerke auf Hass, Lügen und Populismus inzwischen skeptisch: Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, Mitautor des Buchs "Die Kunst des Miteinander-Redens", zweifelt, ob angesichts der Flut von Verschwörungstheorien noch genug Zeit bleibt, um den Markt die Sache regeln zu lassen. Allerdings sieht er auch die traditionellen Medien in der Verantwortung: Sie hätten die Lügen Trumps jahrelang "mit publizistischem Sauerstoff" versorgt, indem sie fasziniert über ihn berichtet haben.