NASA bestätigt "ambipolares" elektrisches Feld in der Erdatmosphäre​

Die suborbitale Raketenmission "Endurance" hat ein elektrisches Feld nachgewiesen, das den Polarwind antreibt und die Ionosphäre um 271 Prozent anhebt.

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Aufnahme der Erde vom Scheitelpunkt der "Endurance"-Mission aus gesehen

(Bild: NASA)

Lesezeit: 4 Min.

In den 1960er Jahren entdeckten Satelliten einen ständigen Strom geladener Teilchen, die über den Polarregionen ins All strömen. In diesen Bereichen des Weltraums sind die Magnetfeldlinien der Erde offen und reichen bis in den Weltraum. Geladene Teilchen aus der oberen Atmosphäre (Elektronen und Ionen) können entlang dieser Linien entweichen und bilden den Polarwind. Was diesen Polarwind antreibt, war lange Zeit ein Rätsel. Forscherinnen und Forscher der NASA haben nun durch Messungen auf der suborbitalen Raketenmission "Endurance" ein schwaches globales elektrisches Feld nachgewiesen, das die Teilchen in den Weltraum katapultiert. Das Feld entsteht in etwa 250 Kilometern Höhe in der Ionosphäre, wo Atome in Elektronen und positiv geladene Ionen zerfallen. Es bildet sich, weil die Elektronen in der Ionosphäre aufgrund ihrer Wärmeenergie in den Weltraum entweichen wollen. Die positiv geladenen Ionen hielten sie jedoch zurück. Dieser Aufladungseffekt führt zu einem schwachen elektrostatischen Feld, das in beide Richtungen wirkt und daher als "ambipolares Feld" bezeichnet wird. Obwohl es schwach ist, hat es einen großen Einfluss auf die Bewegung der geladenen Teilchen.

Um das elektrische Feld nachzuweisen, entwickelten Glyn Collinson, leitender Endurance-Forscher am Goddard Space Flight Center der NASA und Hauptautor der in Nature veröffentlichten Studie, und sein Team ein neues Instrument zur Detektion schwacher elektrischer Felder. Während der Endurance-Mission, die am 11. Mai 2022 vom norwegischen Svalbard aus startete, durchflog die Rakete die Polarwindregion bis zu einer Höhe von 768 Kilometern und landete 19 Minuten später in der Grönlandsee. Die Mission sammelte Daten über einen Höhenbereich von 518 Kilometern (zwischen 250 km und 718 km) im "Polarwind". Aus den Daten ermittelten die Forscher einen Potenzialunterschied von nur 0,55 Volt. Die sei jedoch "genau die richtige Menge, um den Polarwind zu erklären", heißt es in der Veröffentlichung. Denn das ambipolare Feld erhöhe die nach außen gerichtete Kraft auf Protonen um über das Zehnfache der Gravitation und schleudere die Teilchen mit Überschallgeschwindigkeit in den Weltraum.

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Das Team entdeckte, dass das ambipolare Feld einen signifikanten Einfluss auf die Struktur und Dichte der Ionosphäre hat. Sie fanden heraus, dass das Feld die Ionosphäre in den Polarregionen um 271 Prozent anhebt, von 77 auf knapp 209 Kilometer Höhe. Dies geschieht, weil die nach außen strebenden Elektronen zwar die schwereren positiven Ionen nicht direkt ins All transportieren können, durch ihre Anziehung aber einen Auftriebseffekt erzeugen – in etwa wie ein Hund an einer Leine, der sein sehr viel größeres Frauchen oder Herrchen hinter sich her zieht, so Collinson.

Ferner erhöhe das ambipolare Feld die Plasmadichte in der Ionosphäre beträchtlich. An der Grenze der Magnetosphäre in etwa 768 Kilometer Höhe ist die Dichte laut der Veröffentlichung mehr als 3800 Prozent höher, als sie es ohne das elektrostatische Feld wäre. "Es ist wie ein Förderband, das die Atmosphäre in den Weltraum hebt", sagt Collinson in einer Mitteilung der NASA. Dadurch erstreckt sich die Schicht der Ionosphäre mit hoher Konzentration an Ionen und Elektronen weiter nach oben als bisher angenommen.

Von der Entdeckung erhoffen sich die Wissenschaftler neue Möglichkeiten, zu untersuchen, wie dieses fundamentale Energiefeld zusammen mit Schwerkraft und Magnetismus die Entwicklung der Erdatmosphäre im Laufe der Zeit beeinflusst habe. Das Team geht davon aus, dass auch andere Planeten mit Atmosphäre – etwa Mars oder Venus – ähnliche elektrische Felder haben. Tatsächlich vermuten sie sogar, dass "jeder Planet mit einer Atmosphäre [...] ein solches ambipolares Feld haben" dürfte.

(vza)