NRW-Überwachungspaket versetzt Datenschützerin "in Alarmbereitschaft"

Die NRW-Datenschutzbeauftragte kritisiert den Entwurf der Landesregierung für ein "Sicherheitspaket" scharf. Spionage und Gesichtserkennung stoßen ihr übel auf.

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Frau mit stilisierten Sicherheitsmerkmalen

(Bild: ImageFlow/Shutterstock.com)

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Die Datenschutzbeauftragte von Nordrhein-Westfalen (NRW), Bettina Gayk, hat sich klar gegen die Pläne der schwarz-grünen Landesregierung für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen nach den Messerattacken von Solingen im Sommer positioniert. "Gerade ein möglicher Zugriff des Verfassungsschutzes auf private Videoüberwachungsanlagen versetzt mich in Alarmbereitschaft", erklärte Gayk. "Unsere Verfassung gewährleistet, dass wir uns grundsätzlich unbeobachtet in dieser Gesellschaft frei entfalten können. Wenn ich hinter jeder privaten Kamera den mitbeobachtenden Verfassungsschutz vermuten muss, ist das nach meiner Vorstellung nicht mehr mit dem vereinbar, wovor uns die Mütter und Väter des Grundgesetzes schützen wollten."

Ein großes Fragezeichen setzt die Leiterin der Aufsichtsbehörde auch hinter den von Schwarz-Grün ins Spiel gebrachten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) etwa zur biometrischen Gesichtserkennung. "Das ist eine Maßnahme, die alle betreffen wird, von denen Bilder im Internet kursieren", erläuterte Gayk. Auch so ein Instrument werde "unsere individuellen Freiheiten deutlich" beeinträchtigen. Eine eindeutige Trefferquote gebe es bei der automatisierten Gesichtserkennung nicht. Daher könnten leicht Personen mit hoher Ähnlichkeit zu Gesuchten in das Visier von Sicherheitsbehörden geraten. Die Hauptgefahr bestehe hier darin, "dass das Verhalten aller im Netz dadurch leicht nachvollziehbar wird – auch wenn es keinerlei Vorwürfe gegen sie gibt." Eine freie Entfaltung der Persönlichkeit im Netz wäre so massiv beeinträchtigt.

Die NRW-Regierung brachte ihr "Sicherheitspaket" im September auf den Weg. Sie treibt damit etwa den Zugriff des Verfassungsschutzes auf Videoüberwachungssysteme etwa von Nahverkehrsbetrieben sowie den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware im Internet voran. Ferner soll die Polizei mit KI als "virtuellem Ermittler" die sozialen Medien digital durchstreifen dürfen. Der Geheimdienst des Landes darf dem Plan nach auch Staatstrojaner für die Quellen-TKÜ einsetzen. Begründung: "Relevante Personen nutzen Messenger-Dienste oftmals unter bewusster Ausnutzung der komplexen Kommunikationsverschlüsselung mit dem Ziel der konspirativen Planung, Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen." Ferner will NRW eine Bundesratsinitiative starten, um die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen und Handy-Rasterfahndungen per Funkzellenabfragen etwa auch bei gefährlicher Körperverletzung zuzulassen.

Gayk hat bei dem Vorhaben "zahlreiche Problemfälle" ausgemacht. So wären vom Zugriff des Verfassungsschutzes auf Kameras etwa des öffentlichen Nahverkehrs täglich Millionen Menschen betroffen, die für ein Tätigwerden von Sicherheitsbehörden überhaupt keinen Anlass gegeben haben. Das enge die Rechte der Bürger auf Schutz ihrer persönlichen Daten viel zu weit ein. "Gerate ich da schon ins Visier des Verfassungsschutzes, wenn ich mich nur versehentlich neben eine unter Beobachtung stehende Person setze?", gibt die Kontrolleurin zu bedenken. "Was ist, wenn ich im selben Sportstudio trainiere und vielleicht sogar dieselben Trainingszeiten habe?" Selbst eine Überwachung der Spinde vor Ort durch die Agenten mithilfe elektronischer Augen wäre nicht auszuschließen.

Beim Vorstoß der Regierung, Verbindungsdaten wie IP-Adressen erneut verdachtsunabhängig zu protokollieren, mahnt Gayk zur Vorsicht. Alle Nutzer würden damit für die Dauer der Speicherung in ihren Internetaktivitäten identifizierbar, "auch wenn es keinen Anlass für ein Eingreifen von Sicherheitsbehörden gibt". Eine solche Möglichkeit berge ein großes Missbrauchspotenzial. Selbst Staatsanwälte zeichneten längst ein "viel differenzierteres Bild zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung". Die Bevölkerung dürfe nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Auch im Bund wird parallel ein "Sicherheitspaket" diskutiert, in dem es etwa um biometrische Gesichts- und Stimmerkennung geht. Der Bundesrat drängt hier auf umfangreichere Überwachungsbefugnisse und hat Teile des Bundestagsbeschlusses daher zunächst gestoppt.

Update

Korrektur: "Schwarz-Grün" statt "Rot-Grün"

(olb)