Überwachung: Bundestag beschließt "Sicherheitspaket" – Bundesrat bremst
Für die CDU war es nur ein "Mini-Päckchen", für Kritiker wie den CCC ein Dammbruch. Die Länder wollen die Terrorismusbekämpfung ausdehnen und sagten teils Nein.
Der Bundesrat hat einen Teil des vom Bundestag am Freitag beschlossenen "Sicherheitspakets" abgelehnt. Die Länderkammer hat dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung die Zustimmung verweigert; das Vorhaben erreichte die im Bundesrat erforderliche Mindeststimmenzahl von 35 nicht. Bundestag und Bundesregierung können nun den Vermittlungsausschuss anrufen.
In der vorherigen Debatte im Bundesrat hatten Vertreter Bayerns und Berlins ihre Ablehnung der Pläne deutlich gemacht. Der bayerische Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) kritisierte das Paket als unzureichend und sprach von entkernten Regelungen. Die irreguläre Migration könne so nicht bekämpft werden. Vorgesehene Messerverbote seien reine Symbolpolitik. Der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling (SPD) verteidigte das Paket als geeignet. Kurz nach dem Bundestagsbeschluss informierte der Bundesrat über seine Entscheidung. Große Länder wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, in denen die Grünen mitregieren, drängen auf mehr Überwachung etwa in Form einer Neugestaltung der Funkzellenabfrage.
Hitzige Debatte
Zuvor hatte sich der Bundestag eine anderthalbstündige, hitzige Debatte über das Sicherheitspaket geliefert. Nach mehreren namentlichen Abstimmungen und einer Wiederholung aufgrund eines Fehlers wurde das von der Bundesregierung nach dem tödlichen Messerangriff in Solingen im August geschnürte "Sicherheitspaket" schließlich zunächst beschlossen. Der Teil zur Migration, den die Länder passieren ließen, erlaubt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erstmals eine biometrische Überwachung von Ausländern etwa durch automatisierte Stimm- oder Gesichtserkennung mithilfe von Internetdaten.
Mit dem gestoppten Entwurf hätten Bundeskriminalamt (BKA) und Bundespolizei eine vergleichbare allgemeinere Fahndungsbefugnis erhalten. Sie sollten zudem Big-Data-Analysen mit Künstlicher Intelligenz (KI) durchführen und dafür die große Zahl an polizeilichen Datenbanken virtuell zusammenführen sowie automatisiert durchsuchen dürfen.
Für das gesamte Dossier mit zwei Gesetzentwürfen stimmten im Bundestag die Regierungsfraktionen. CDU/CSU und AfD sowie den Gruppen Die Linke und BSW waren dagegen.
Die von der Exekutive zunächst vorgesehenen Überwachungsbefugnisse schränkte die Ampel mit ihren Änderungsanträgen ein. Prinzipiell bleibt es im Asylbereich bei der geplanten Befugnis zum biometrischen Abgleich von allgemein öffentlich zugänglichen Internetdaten. Ziel der heftig umkämpften Initiative ist es generell, auch Ermittlern die Identifizierung von Asylbewerbern, Tatverdächtigen oder gesuchten Personen zu erleichtern. Darüber müssen der Bundestag und die Länder nun noch verhandeln. Für das BAMF gilt derweil: Es darf bei biometrischen Abgleichen nur mit Anbietern zusammenarbeiten, die einen Hauptsitz im Schengen-Raum und der EU haben.
KI-Analysen nur bei schwersten Straftaten
Die Regierung wollte auch die "automatisierte Analyse polizeilicher Daten durch das BKA und die Bundespolizei" gestützt durch KI sowie das Testen und Trainieren von Daten für KI-Anwendungen im Stil von Palantir & Co. erlauben. Dagegen gibt es seit Längerem Bedenken, dass so die Unschuldsvermutung verlorengeht. Die Koalition wollte diese neuen Befugnisse der Strafverfolger, die die Länder ausgebremst haben, daher auf die Verfolgung oder Verhinderung schwerster Straftaten wie Mord- und Totschlag, schweren Raub oder die Bildung einer terroristischen Vereinigung beschränken. Sie knüpfte die Kompetenz im von den Ländern blockierten Gesetzentwurf zur Terrorismusbekämpfung an Paragraf 100b Strafprozessordnung (StPO), der auch die heimliche Online-Durchsuchung regelt.
Ferner sollte die Regierung den "verfassungs- und europarechtskonformen Einsatz" aller neuer Kompetenzen zunächst "durch eine Rechtsverordnung vorzeichnen". Sie hätte die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider daran beteiligen müssen.
Faeser: Bundesrat handelt verantwortungslos
Die Abgeordneten drängen mit einem Entschließungsantrag, den die Regierungsfraktionen einbrachten, auch auf zahlreiche zusätzliche bürgerrechtliche Sicherungen. Das Parlament verlange etwa von der Regierung: "Die Verwendung von automatisierten Anwendungen zur Datenverarbeitung, die Datenbanken zur Gesichts- oder Stimmerkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern oder Stimmproben aus dem Internet erstellen oder erweitern, ist auszuschließen." Der Abgleich mit biometrischen Daten aus im Internet allgemein öffentlich zugänglichen Lichtbild- und Videoaufnahmen dürfe auch nur "bereichsspezifisch und nicht flächendeckend" erfolgen.
Beim Einsatz von KI unterstreicht der Bundestag: "Mit Blick auf die Umsetzung der automatisierten Datenanalyse bei BKA und Bundespolizei ist auszuschließen, dass die Systeme wie eine übergreifende Datenbank wirken, in der jederzeit alle im Informationssystem verfügbaren Daten beliebig zusammengeführt und verarbeitet werden können."
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach im Bundestag von einem der wichtigsten Schritte in der Innen- und Sicherheitspolitik als Antwort auf die terroristische Bedrohung und Gewaltkriminalität. Alle Maßnahmen seien noch einmal gründlich geprüft worden, um "rechtsstaatliche Regelungen" zu verabschieden, "die hinterher vor Gericht auch halten". Die Polizei solle mithilfe von Gesichtserkennung Täter und Verdächtige identifizieren und orten können. Das spätere Votum des Bundesrats bezeichnete Faeser im Nachgang als "völlig unverständlich und verantwortungslos". Die von CDU und CSU geführten Länder verweigerten "unseren Ermittlungsbehörden Befugnisse, die angesichts der aktuellen Bedrohungen absolut notwendig sind".
CDU spricht von Trauerspiel
Andrea Lindholz, Vizin der CDU/CSU-Fraktion, monierte im Bundestag, Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Koalition täten nicht alles Mögliche, um weitere Terroranschläge zu verhindern. Der Abgleich von Fahndungsfotos sei gut. Lindholz bedauerte hier aber ein "Trauerspiel", da die Koalition "die kleinen Möglichkeiten" noch weiter eingeschränkt habe auf besonders schwere Straftaten. So sei nur ein "Mini-Päckchen" herausgekommen. Zudem habe das Justizministerium statt einer neuen Vorratsdatenspeicherung ein Quick-Freeze-Verfahren auf den Weg gebracht. Die Ampel sei damit selbst ein Sicherheitsrisiko. Josef Oster (CDU) ergänzte, Scholz habe mit der Vertrauensfrage drohen müssen, um eine Mehrheit zu bekommen.
Die Regierungsfraktionen hätten in "harschen parlamentarischen Verhandlungen" in allen Bereichen sehr relevante und entscheidende Verbesserungen vorgenommen, hielt der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz dagegen. Das Vorhaben werde damit europa- und verfassungskonformer, da es entgegen des Ansinnens von CDU/CSU keine maßlose Eingriffsbefugnis und keine uferlose Datei gebe, in die noch KI reingemixt würde. Es sei "zwingend und richtig, die neuen Befugnisse klar und streng einzuhegen".
Das Bündnis "Gesichtserkennung stoppen", dem zivilgesellschaftliche Organisationen wie AlgorithmWatch, Amnesty International, der Chaos Computer Club (CCC), der SPD-nahe digitalpolitische Verein D64 oder Wikimedia angehören, lief vorab Sturm gegen die geplante "biometrische Rundum-Überwachung". Auch nach den Korrekturen der Regierungsfraktionen beklagte die Allianz, dass das Vorhaben die "größte Enttäuschung seit Beginn der Ampel-Regierung" darstelle. Eine CCC-Sprecherin warnte erneut: "Als Reaktion auf ein solches Gesetz müssten wir ernsthaft darüber nachdenken, wie Überwachungsmaßnahmen sabotiert und abgeschaltet werden können."
Im dritten, vierten und sechsten Absatz wurde der Rahmen der Befugnisse für die Sicherheitsbehörden nach der Bundesratsentscheidung klargestellt.
(nen)