NSA-Affäre: EU-Parlament fordert Kündigung des Safe-Harbour-Abkommens
Vertreter aller Fraktionen des EU-Parlaments haben die EU-Kommission nachdrücklich aufgefordert, den Vertrag zum Transfer von Unternehmensdaten in die USA zu kündigen, doch Brüssel lehnt das ab.
Der Streit zwischen europäischen Volksvertretern und der EU-Kommission um die Konsequenzen aus der NSA-Affäre weitet sich aus: Vertreter aller Fraktionen des EU-Parlaments haben die EU-Kommission am Mittwoch bei einer Plenardebatte in Straßburg nachdrücklich aufgefordert, das umstrittene Safe-Harbour-Abkommen besser heute als morgen zu kündigen. Die Kommission lehnt diesen Ansatz aber nach wie vor ab.
Von wegen "sicherer Hafen"
"Wir haben 13 konkrete Empfehlungen gemacht", verwies Justizkommissarin Viviane Reding auf die Vorschläge der Kommission zum Nachbessern des Safe-Harbour-Vertrags. Er regelt den Transfer personenbezogener Informationen, die Firmen in der EU sammeln, in die USA. Zu den Vorschlägen gehörten Punkte wie mehr Transparenz, das Öffnen des Gerichtswegs für EU-Bürger jenseits des Atlantiks, eine bessere Durchsetzung der Schutzvorschriften und eine Einschränkung des Zugriffs auf die Daten durch Geheimdienste. Die "umfangreiche Aufgabenliste" liege nun in Washington auf dem Tisch, die US-Seite sei am Zug.
"Wir haben Korrekturen bis zum Sommer gefordert", betonte Reding. Die Kommission werde demnächst über den Stand der Dinge mit der US-Regierung reden, versicherte sie, und versprach, dann schnellstmöglich dem Parlament Bericht zu erstatten über das weitere Vorgehen. Die Auseinandersetzung sollte die Abgeordneten und die anderen EU-Gremien nicht von der raschen Verabschiedung der geplanten Datenschutzreform abbringen. Die Kommissarin appellierte an die Volksvertreter: "Wir müssen gemeinsam den Druck auf den Rat vergrößern." Dieser hatte zuletzt eine Einigung auf die geplanten neuen Regeln weiter verzögert.
"Rigoroser Dialog"
Der griechische Außenpolitiker Dimitris Kourkoulas unterstrich im Namen der Ratspräsidentschaft, dass die Entscheidung über die Zukunft des Abkommens bei der Kommission liege. Diese habe darüber zu entscheiden, ob es im Lichte der besorgniserregenden Enthüllungen ausgesetzt oder nachgebessert werden solle. Der Rat unterstütze den Ansatz, dass EU- und US-Bürger rechtlich gleich behandelt werden müssten und ihre Privatsphäre besser zu schützen sei. Eine Lösung sei aber wohl nur über einen "rigorosen Dialog" mit dem transatlantischen Partner möglich, sodass diesem zunächst eine "angemessene Zeit zur Reaktion" zugestanden werden solle.
Der Leiter der Untersuchung des Spionageskandals im Parlament, der Labour-Abgeordnete Claude Moraes, verwies dagegen auf die Empfehlung des einschlägigen Gremiums, die Basis für den nicht mehr "sicheren Hafen" aufzuheben. "Wir haben klaren Nachweise erhalten über Firmen, die sich nicht an die Vorgaben halten", erklärte der Brite. Der umfassende NSA-Zugriff auf die übermittelten Daten stelle zudem einen Bruch des Abkommens dar, das keine echten Durchsetzungsmöglichkeiten enthalte. Es sei "zu einem Symbol für das Problem mit dem Datenschutz" geworden.
Bürger zweiter Klasse
Im Namen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) verlangte Manfred Weber das Aus für die Übereinkunft. Der CSU-Politiker verknüpfte damit die Hoffnung, dass Washington den Wunsch nach einer Partnerschaft verstehe, die diesen Namen verdiene. Es dürfe dies- und jenseits des Atlantiks für die US-Sicherheitsbehörden nicht länger "Bürger und Verbraucher erster und zweiter Klasse" geben.
"Wir brauchen keinen Pseudoschutz mehr", wetterte die Liberale Sophie in't Veld. Das Parlament habe die Schwächen des Vertrags zunächst toleriert, da US-Firmen sonst "zwischen zwei Gesetzgebungen" gefangen seien. Diese hätten im Gegenzug aber nur "massive Lobby" dafür gemacht, die europäischen Datenschutzstandards zu unterwandern. Der Kommission legte die Niederländerin nahe, noch vor den Neuwahlen des Parlaments im Mai für die Rechte der Bürger einzutreten und das Abkommen umgehend zu kippen.
Eine Frage der Souveränität
Es könne nicht angehen, dass das "Big Data Business" aus dem Silicon Valley und die US-Geheimdienste weiter das Privatleben der Europäer ausschnüffelten, ergänzte der Innenexperte der Grünen, Jan Philipp Albrecht. Die EU-Gremien müssten jetzt handeln, "sonst verlieren wir nicht nur die Souveränität, sondern auch die Wähler".
Die Linke Cornelia Ernst tat den Vertrag als "absolute Farce" und "Papiertiger" ab. Der fraktionslose Martin Ehrenhauser rief nach umfassenden Reformen der Befugnisse der Geheimdienste, die sich nicht auf Safe Harbour beschränken dürften. Die Abgeordneten hatten sich zuvor auch für den Stopp der Weitergabe von Finanzdaten ausgesprochen; die Kommission mauert hier ebenfalls. (jk)