NSA-Skandal: Die Bahamas werden vollständig abgehört
Die NSA speichert alle Telefonverbindungsdaten in Mexiko, Kenia und den Philippinen. Auf den Bahamas und in einem weiteren Land werden außerdem die Inhalte aller Telefongespräche gesammelt. Dem Kampf gegen den Terror dient das nicht.
Die NSA greift die Inhalte sämtlicher Telefonate, die auf den Bahamas geführt werden, ab und speichert sie für mindestens 30 Tage. Das berichtet The Intercept unter Berufung auf Dokumente des NSA-Whistleblowers Edward Snowden. Demnach ist diese totale Überwachung – die intern unter dem Namen Somalget laufe – Teil des bereits enthüllten Spionageprogramms Mystic, geht aber darüber hinaus. Unter Mystic laufe außerdem die Sammlung der Verbindungsdaten zu allen Telefonaten in Mexiko, Kenia und den Philippinen. In einem weiteren Land würden – wie für die Bahamas – sämtliche Telefongespräche mitgeschnitten. Um welchen Staat es sich dabei handelt, schreibt The Intercept nicht. Aus "begründeten Befürchtungen", diese Enthüllung könnte zu "verstärkter Gewalt" führen.
Im März hatte die Washington Post öffentlich gemacht, dass im Rahmen von Mystic mindestens ein Land komplett von der NSA abgehört wird. Nachdem die Zeitung nicht geschrieben hatte, um welches Land es sich dabei handelt, hatte das wenig später offenbar der ehemalige NSA-Vizechef John Inglis enthüllt. Demnach sei die NSA in der Lage, "jede irakische E-Mail, SMS und jeden Standort von Telefonierenden in Echtzeit zu sammeln, zu sortieren und zur Verfügung zu stellen". Um Inhalte ging es nicht, weswegen das Land nicht in die neuesten Enthüllungen zu Mystic zu passen scheint. Außerdem ist die Überwachung des Irak bereits öffentlich, eine Geheimhaltung also nicht mehr vonnöten. The Intercept schreibt nun, Mystic sammle persönliche Daten zu Mobiltelefonaten von insgesamt über 250 Millionen Menschen. Die Bahamas, Mexiko, Kenia und die Philippinen kommen zusammen auf rund 243 Millionen Einwohner, mit dem Irak wären das rund 273 Millionen. Österreich wiederum, das zwischenzeitlich ebenfalls als komplett abgehörtes Land gehandelt wurde kommt auf 8,5 Millionen Einwohner.
Totalüberwachung gegen Drogenhandel
Wie The Intercept berichtet, würden die Bahamas – eines demokratischen Inselstaats mit rund 350.000 Einwohnern – nicht im Rahmen des Kampfs gegen den Terrorismus total überwacht. Stattdessen gehe es um den "internationalen Drogenhandel und Sonderfälle von Schmuggelaktivitäten". Genutzt werde demnach ein Zugang zum Telefonnetzwerks, der den US-Drogenfahndern der DEA (Drug Enforcement Administration) von den Behörden der Bahamas erlaubt wurde – zur Überwachung einzelner Individuen. Staaten, die der DEA solch eine Möglichkeit der "Lawful Intercepts" (gesetzliche Überwachungsschnittstellen) zur Verfügung stellten, seien sich nicht darüber im Klaren, dass die von der NSA für Überwachung genutzt würden, wird in dem Bericht aus einem NSA-Dokument zitiert.
Auf die Rolle der DEA geht der Artikel im Folgenden ausführlich ein. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Behörde erklärte dem Onlinemedium, die Behörde unterhalte eines der größten Spionageprogramme überhaupt: "Unser Mandat sind nicht nur Drogen. Wir sammeln nachrichtendienstliche Informationen." Andere Staaten ließen die DEA jedoch an ihre Telefonnetze, weil sie die Behörde nicht als Geheimdienst betrachteten. Länder wie die Bahamas richteten die angeforderten Überwachungsanlagen – die sich etwa gegen Drogenbosse richteten – nicht selbst ein, sondern überließen dies der DEA. Durch die enge Zusammenarbeit mit der NSA erhalte die dann auch Zugang. Bei der Einrichtung und Durchführung der Komplettüberwachung der Bahamas hilft demnach ein ungenanntes privates Unternehmen.
Die Bahamas als Versuchsfeld
Aus den Dokumenten gehe auch hervor, dass diese totale Überwachung vor allem für den Kampf gegen den Drogenhandel genutzt werde. Der wahre Wert des Programms liege aber vielleicht darin, dass hier ein Versuchsfeld geschaffen worden sei. Auf den Bahamas könnten Neuerungen ausprobiert werden, bevor sie in einem der anderen von Mystic betroffenen Staaten eingesetzt werden – wie in einem Beta-Test, schreibt The Intercept. Wie legal diese komplette Überwachung eines Landes – das jährlich von 5 Millionen US-Amerikanern besucht werde – ist, sei nicht klar. Sie beruhe jedenfalls auf eine Direktive von US-Präsident Ronald Reagan – aus dem Jahr 1981.
Die anderen in dem Artikel benannten Staaten seien naheliegendere Spionageziele. In Kenia etwa arbeite die US-Regierung eng mit lokalen Sicherheitsbehörden zusammen, um gegen die Terrorgruppe Al-Shabab aus dem benachbarten Somalia vorzugehen. Auf den Philippinen unterstützten die USA einen blutigen Schattenkrieg gegen islamistische Extremisten, dessen Fortsetzung US-Präsident Obama jüngst versprochen hatte. In Mexiko wiederum tobt ein blutiger Drogenkrieg, der Zehntausende Tote gefordert hat und in den USA als große Bedrohung gesehen werde. (mho)