Nach Stresstest sollen zwei Atomkraftwerke erstmal weiterlaufen

Zwei von drei noch aktiven Atomkraftwerken sollen im Winter als Reserve bereitgehalten werden. In einem Stresstest zeigten sich im Extremfall massive Engpässe.

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AKW Grohnde

Aktuell wird diskutiert, ob die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke angesichts der Energiekrise verlängert werden sollen.

(Bild: dpa)

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Zwei von drei noch aktiven Atomkraftwerken in Deutschland sollen über den geplanten Atomausstieg zum Jahresende hinaus bis April 2023 in Betrieb bleiben. Nach einem Stresstest für den Strommarkt werden sie für Notfälle bereitgehalten, kündigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montagabend in der Bundespressekonferenz an. Eine entsprechende Empfehlung gebe das Bundeswirtschaftsministerium der Bundesregierung. Die Analyse der Übertragungsnetzbetreiber hat ergeben, dass sich die Versorgungssituation in verschiedenen Szenarien als "äußerst angespannt" dargestellt, wie Hendrik Neumann, technischer Geschäftsführer von Amprion erklärte.

Die Verlängerung soll für die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 ausgesprochen werden. Das dritte KKW im Emsland werde dagegen planmäßig stillgelegt. Die zwei weiterbetriebenen Kernkraftwerke sollen bis Mitte April eine Einsatzreserve zur Versorgungssicherheit bilden, um nötigenfalls das Netz zu stabilisieren. Bislang war in der Diskussion eine Verlängerung der Laufzeiten von der Bundesregierung als nicht sinnvoll erachtet worden. Die verbliebenen drei Kernkraftwerke in Deutschland sollten im Zuge des Atomausstiegs bislang zum Jahresende außer Betrieb gehen.

Grund für den Sinneswandel sind die Ergebnisse eines weiteren Stresstests, dessen Bedingungen im Vergleich zum vorherigen noch einmal verschärft wurden. Am 17. Juli hatte das Bundeswirtschaftsministerium dazu den Netzbetreibern die neuen Parameter mitgeteilt, die – wie Habeck sagt – durch den Sommer mit seinen Extremen noch einmal übertroffen wurden.

Die Prüfer gingen hierbei von noch höheren Gaspreisen und einem massiven Ausfall von Gaslieferungen aus. Auch der Ausfall französischer Atomkraftwerke wurde in höherem Maße berücksichtigt. Die Trockenheit mit ihren Auswirkungen auf Kohletransporte auf Flüssen und der Wasserkraft in Nordeuropa wurde stärker berücksichtigt. Auch der vermehrte Einsatz von Heizlüftern im Winter wurde eingerechnet.

Laut Dr. Werner Götz von TransnetBW wurde dabei der sehr kalte Winter 2012 als Wetter zugrunde gelegt. Neben der Frage, ob ausreichend Kapazitäten für die Stromerzeugung vorliegen, wurde auch die Transportwege-Situation genauer beleuchtet. Hier fehlen laut den Netzbetreibern Hochspannungsleitungen zwischen dem Norden und dem Süden Deutschlands. Während im Norden und Nord-Osten viel Erzeugung vorliege, wie Tim Meyerjürgen von Tennet erläuterte, gebe es im Süden und Südwesten eine höhere Last. Um die Leitungswege nicht zu überlasten, arbeiten die Netzbetreiber mit dem sogenannten Redispatch. Dabei wird bei drohender Überlastung der Leitungen die Erzeugung im Norden gedrosselt und durch Kraftwerke im Südwesten ausgeglichen. Hier wurde überprüft, ob die Kraftwerke im Süden dafür ausreichen.

Der Stresstest ergab, dass in allen drei Szenarien Situationen auftraten, in denen über Stunden die Last nicht gedeckt werden konnte. "Sollte eine solche Situation eintreten, greifen hierfür Maßnahmen", sagt Hendrik Neumann. Nach dem Einsatz aller nationalen und internationalen Reserven würden in einem nächsten Schritt Verbraucher "geordnet" abgeschaltet, um die Sicherheit des Gesamtsystems zu gewährleisten. Es fehlten Redispatch-Möglichkeiten zwischen 4,3 und 8,6 Gigawatt. "Ob diese Leistung tatsächlich zur Verfügung steht, ist angesichts der Versorgungslage in Europa unklar." Die Kernkraftwerke könnten hier einen Beitrag zum Reduzieren der Lastunterdeckung leisten und diese zumindest für Deutschland vollständig vermeiden.

Die Netzbetreiber erklärten außerdem, dass sie Absprachen mit den Nachbarländern und einen beschleunigten Ausbau der Stromtransportwege für notwendig erachten. Deutschland sollte zudem wieder ein vertragliches Lastenmanagement vornehmen, um etwa Großverbraucher in der Industrie dafür zu vergüten, wenn sie durch freiwilliges Abschalten die Netze entlasten.

Politisch ist der Weiterbetrieb umstritten. Während SPD und Grüne sich bislang gegen eine Verlängerung der Laufzeit aussprachen, fordern Union und FDP einen Weiterbetrieb. Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte vor einigen Wochen erklärt, dass die Reaktoren gegen die Gas-Knappheit nichts beitragen könnten. Zugleich wolle er sich aber verantwortungsbewusst zeigen, wenn sich das Stromnetz im jetzigen Stresstest nicht als stabil erweise. Die Grünen wollen auch nach dem Ergebnis des Stresstests erst einmal in Ruhe beraten, teilten sie mit.

Habeck nannte die Atomkraft in der Pressekonferenz eine "Hochrisikotechnologie". Es könne in der aktuellen Situation aber nicht ausgeschlossen werden, dass sie einen Beitrag gegen Probleme im Stromnetz leisten könne. Deshalb sei es eine vertretbare wie notwendige Entscheidung, zwei der drei Kraftwerke im Winter als Reserve vorzuhalten.

Zur Diskussion steht ein sogenannter Streckbetrieb, also eine Fortführung des Betriebs mit den vorhandenen Brennstäben. Befürworter einer darüber hinaus gehenden Verlängerung fordern hingegen auch den Einsatz neuer Brennstäbe, um die Kraftwerke noch einige Jahre zu betreiben.

Update

Der Artikel wurde nach der Pressekonferenz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) überarbeitet und ergänzt.

(mki)