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Nach US-Wahlen: Musiker hoffen auf bessere Krankenversicherung und Tantiemen

Daniel AJ Sokolov
Musikant mit Schlagzeug aus Plastikkübeln

Straßenmusikant in Baltimore

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Medien-Monopole, Radiotantiemen und die Krankenversicherung sind für US-Musiker eminente Themen. Sie hoffen auf neue Impulse durch das US-Wahlergebnis.

"Die Diskussion über Krankenversicherungen wird sich ändern. Es wird weniger um Abschaffung (des unter US-Präsident Obama eingeführten Versicherungspflichtmodells) gehen, sondern mehr um die Erweiterung des Zugangs sowie die Senkung der Kosten", erwartet Kevin Erickson, Direktor der Future of Music Coalition (FMC). Diese gemeinnützige Organisation setzt sich seit 18 Jahren für die Interessen Musikschaffender ein.

Dazu gehörten natürlich die Themen Tantiemen, Copyright, Monopole und Netzneutralität. Aber das "Obamacare" genannte Krankenversicherungskonzept hat in den letzten Jahren besonders viel von Ericksons Zeit in Anspruch genommen. "Musiker sind überdurchschnittlich betroffen", erklärt Erickson im Gespräch mit heise online kurz nach den US-Wahlen. Die Wahlen haben unter anderem dazu geführt, dass die Demokraten im Repräsentantenhaus eine Mehrheit haben. Und diese Mehrheit wird Obamacare verteidigen.

In den USA sind Krankenversicherungen sehr häufig eine Leistung des Arbeitgebers, aber nur für Vollzeitkräfte: "Musiker arbeiten oft an verschiedenen Orten in Teilzeit, und damit bekommen sie von dort keine Versicherung [1]. Dazu kommen systemimmanente Barrieren. Unsere Einkünfte lassen sich schwer vorhersagen. Daher kann es schwierig sein, die monatlichen Raten pünktlich zu zahlen", erläutert Erickson,

"Außerdem touren viele von uns. Das erfordert spezielle Krankenversicherungspolicen, die teuer und schwer zu finden sind." Viele US-Krankenversicherungen decken nur Leistungen von Einrichtungen ab, die einen speziellen Vertrag mit der jeweiligen Versicherungsanstalt abgeschlossen haben. Die "Versorgungsnetze" sind meist auf eine Region beschränkt, was im Tour-Leben wenig hilft. Hinzu kommt, dass es Musiker gibt, die zu viel verdienen, um am staatlichen Versicherungsprogramm Medicaid teilnehmen zu können, aber zu wenig verdienen, um von Steuergutschriften zu profitieren.

Bisher hat FMC die bestehende Obamacare, deren Gesetz eigentlich Affordable Care Act (etwa Gesetz für leistbare Versorgung) heißt, verteidigt. In nächster Zeit werde es eher um Gespräche mit Abgeordneten und Thinktanks über einen Ausbau der Versorgung gehen. Doch eine Gesetzesnovelle muss nicht nur durch das von Demokraten dominierte Repräsentantenhaus, sondern auch durch den von Republikanern dominierten Senat. "Wir blicken wahrscheinlich auf eine Zeit nach (den nächsten Wahlen) 2020, bevor es möglich sein wird, den nächsten Schritt vorwärts zu setzen", schätzt Erickson die politische Lage ein.

"So viel des Musik-Geschäfts läuft online. Die Möglichkeit, im Internet um die Gatekeeper herumzukommen, ist von eminenter Bedeutung. Wir können auch ohne großes Promotion-Budget mit Fans in Kontakt treten", beschreibt Erickson die besondere Bedeutung der Netzneutralität [2] für seine Klientel. Gatekeeper seien beispielsweise kommerzielle Radiostationen, die keine aktuelle, lokale Musik spielten. Daher setzt sich die FMC bereits seit mehr als zehn Jahren für Netzneutralität ein, "schon bevor das ein großes Thema war", erinnert sich der Musiker-Schützer.

"Der Verlust der Netzneutralität bedeutet, dass nun die Internetprovider die neuen Gatekeeper werden können. Dass die ISP nun Verlierer und Gewinner bestimmen, ist nicht das Internet, das wir erhofft hatten." Theoretisch könnte noch dieses Jahr das alte Repräsentantenhaus die Wiedereinführung der Netzneutralität beschließen [3], nachdem der US-Senat bereits zugestimmt hat. Die Chancen dafür sind zwar gering, Erickson hält einen Versuch aber dennoch für sinnvoll.

Größere Chancen rechnet er sich dabei aus, die Abschaffung der Netzneutralität gerichtlich als ungültig feststellen zu lassen. Entsprechende Verfahren laufen. Und dann sind da noch die US-Staaten. Neue Mehrheiten und Gouverneure der Demokraten könnten dazu führen, dass noch mehr Staaten einige Gesetze für Netzneutralität beschließen. Das versucht die nach wie vor Republikanisch dominierte Regulierungsbehörde FCC zwar zu verhindern, doch hält Erickson das für rechtswidrig: "Die FCC hat die Zuständigkeit für diese Regulierung aufgegeben. Damit können sie anderen aber nicht mehr verbieten, das zu regulieren. Ich bin daher relativ zuversichtlich, dass die Staaten-Gesetze vor Gericht halten."

Wichtig ist der FMC auch die Verantwortung von Plattformbetreibern: "Wir brauchen Schutz vor Youtube, Facebook, Amazon und Co." Sie würden unabhängige Musiker stark benachteiligen. Die könnten sich beispielsweise kaum dagegen wehren, dass ihre Aufnahmen bei Youtube gratis verfügbar sind.

Theoretisch hat Youtube ein System, mit dem bestimmte urheberrechtlich geschützte Aufnahmen automatisch erkannt und blockiert werden können ("Content ID"). Doch sei dieses System für unabhängige Musiker unzugänglich, außer sie erteilen Youtube gleichzeitig eine Lizenz für ihre Aufnahmen. "Wir haben keinen Beweis dafür, weil alles mit Schweigeklauseln abgesichert ist. Aber wir hören, dass das mit beunruhigender Häufigkeit verknüpft wird", so Erickson.

"Es herrscht weite Einigkeit, dass die (Handelsbehörde) FTC zu zaghaft war. Sie haben keine Klage gegen eine große IT-Firma eingebracht seit dem Microsoft-Fall (vor 20 Jahren) [4]", klagt Erickson. Die neue Demokraten-Mehrheit im Repräsentantenhaus könnte nun ihr Aufsichtsrecht wahrnehmen und der FTC Beine machen.

Kevin Erickson

Kevin Erickson, Director der Future of Music Coalition, hat in Maryland gewählt. Er hatte gleich drei doppelseitige Stimmzettel auszufüllen.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Das gelte aber nicht nur für Marktmachtmissbrauch durch große Online-Plattformen, sondern auch für die zunehmende Marktkonzentration bei Medien, in der Musikindustrie und im Gesundheitsbereich. Derzeit würden Zusammenschlüsse nur bezüglich ihrer Auswirkung für Verbraucher überprüft; die Interessen kleiner Wirtschaftstreibender, wie eben der Musik, blieben unberücksichtigt. Hier hofft der Amerikaner, dass sich die zukünftigen Ausschussvorsitzenden im Repräsentantenhaus, allesamt Demokraten, für neue, umfassendere Fusions-Kriterien stark machen werden.

Gleichzeitig könnte die Demokraten-Mehrheit im Repräsentantenhaus die Kontrolle der Telecom- und Medien-Regulierungsbehörde FCC intensivieren. "Die Radio-Konzerne wollen noch mehr Konzentration. Sie wollen zehn Stationen in den großen Städten betreiben dürfen und beliebig viele in kleineren Märkten", umreißt der Musiker-Vertreter ein Problem. "Das wird gerade in einem FCC-Verfahren angegangen." So eine Marktliberalisierung würde dazu führen, dass die Radioprogramme noch einheitlicher werden, was es weniger bekannten Musikern noch schwerer mache, gehört zu werden.

Bereits abgeschafft hat die Republikanisch dominierte FCC die Verpflichtung, dass Radiosender in ihrer jeweiligen Stadt auch ein Radiostudio unterhalten müssen. Damit falle jeglicher lokale Bezug weg, der aber für die Musikszene wichtig wäre, sorgt sich Erickson: Die Demokraten "werden nicht in der Lage sein, alles Verrückte zu verhindern, was der (Republikanische FCC-Vorsitzende) Ajit Pai tut. Aber wenigstens können sie ihn zwingen, Antworten zu geben." Die damit gewonnene Aufmerksamkeit könne dann zu besseren Gesetzen führen.

Beim Thema Radio drückt die Musiker noch ein ganz anderer Schuh: Terrestrische US-Radiosender können nach wie vor beliebig viel Musik spielen, ohne den ausführenden Musikern auch nur einen Cent zahlen zu müssen. Nur die Inhaber der Rechte an Komposition und Text, meist Musikverlage, werden bezahlt. Satellitenradiosender und Online-Streamer müssen aber sehr wohl die an der übertragenen Aufnahme Beteiligten entschädigen.

Dieses Radio-Privileg trifft die Musiker direkt im Geldbeutel – und das weit über die USA hinaus. Weil ausländische Musiker von US-Radios keine Tantiemen erhalten, revanchieren sich andere Länder und überweisen ihrerseits keine Radiotantiemen für US-Musiker in die USA. "Das wären mindestens 100 Millionen US-Dollar jährlich. Und diese würden direkt an die Musiker gehen, die Plattenlabel schnitten da nicht mit", weiß Erickson. Das US-Radioprivileg schadet damit direkt der Handelsbilanz – einem Lieblingsthema von US-Präsident Donald Trump

Dieser Artikel bildet den Abschluss der Serie zur Lage nach den US-Wahlen. heise online traf dazu in der US-Hauptstadt Washington, DC, Experten mit unterschiedlichen Einstellungen und Arbeitsgebieten. Bisher sind erschienen:

Sehen Sie dazu auch die #heiseshow vom 8. November 2018:


(ds [10])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Obamacare-Unerwuenschte-Nebenwirkungen-3362874.html
[2] https://www.heise.de/thema/Netzneutralit%C3%A4t
[3] https://www.heise.de/news/US-Wahl-Gesetz-fuer-Netzneutralitaet-wird-schwieriger-4217541.html
[4] https://www.heise.de/news/Hintergrund-Microsoft-Freispruch-zweiter-Klasse-44184.html
[5] https://www.heise.de/news/US-Wahl-Geteilter-Kongress-ist-gut-fuer-den-Datenschutz-4217228.html
[6] https://www.heise.de/news/US-Wahl-Gesetz-fuer-Netzneutralitaet-wird-schwieriger-4217541.html
[7] https://www.heise.de/news/Auf-US-Wahlkampf-folgt-Kampf-um-Space-Force-4218490.html
[8] https://www.heise.de/news/Nach-US-Wahlen-Neue-Politiker-Generation-kennt-Technik-und-Oeffis-4220447.html
[9] https://www.heise.de/news/Nach-US-Wahlen-US-Staaten-koennen-erneuerbare-Energie-forcieren-4224111.html
[10] mailto:ds@heise.de